Pandaemonia 02 - Die Stadt der Seelen
Jackon wusste nicht mehr, was richtig oder falsch war. Ihm schwirrte der Kopf, wenn er über diese ungeheuerliche Geschichte nachdachte. »Und der Phönix ist wirklich in ihr?«
»Wenn du so willst.«
»Wieso sieht man ihn in der Wachwelt nicht?«
»Weil die Zaubersprüche aus dem Gelben Buch das verhindern, schätze ich.«
»Zaubersprüche?«
»Das Buch enthält uralte Rituale und magische Formeln aus dem Süden. Unter anderem auch, wie man mächtige Schattenwesen wie den Phönix bindet.«
»Deswegen will sie es unbedingt zurückhaben.«
»Genau.«
Die Gasse führte einen Hügel am Flussufer hinauf. Häuser drängten sich um die Anhöhe, ein verschachteltes Wirrwarr aus Dächern, Terrassen und Innenhöfen. Auf der Kuppe, weithin zu sehen, stand die Sternwarte. Das Gespräch mit Umbra hatte Jackon jedoch so beansprucht, dass er sie erst jetzt bemerkte.
Er blieb wie angewurzelt stehen und starrte an dem weiß
getünchten Observatorium empor. Er konnte förmlich spüren, wie ihm jegliche Farbe aus dem Gesicht wich.
Die Sternwarte glich Liams Seelenhaus bis aufs Haar.
Die Form und Größe des Gebäudes, die Stahlkuppel, die Farbe und Beschaffenheit der Wände, die Anordnung der Fenster – alles sah genauso aus wie in den Traumlanden. Es gab nicht die kleinste Abweichung.
Wie war das nur möglich?
»Kommst du?«, rief Umbra ihm zu.
Wie in Trance schloss er zu den beiden Leibwächtern auf. Corvas riss einen vom Regen durchweichten Anschlag ab, der am Eingang der Sternwarte hing, zog sein Messer und hebelte die Bretter auf, die seine Leute an der Tür angebracht hatten. In einiger Entfernung hatte sich eine kleine Menschenmenge eingefunden und beobachtete sie.
Der Schwarzgekleidete warf die Bretter auf das spärliche Gras neben dem Weg und öffnete die Tür. Mit einem Kloß im Hals folgte Jackon ihm und Umbra hinein.
Auch das Innere stimmte mit Liams Seelenhaus überein, abgesehen von den verstaubten Möbeln, die darin herumstanden. Wie oft war Jackon durch diese Flure und Zimmer geschlendert und hatte Liam von seinen Erlebnissen erzählt. Er kannte das Gebäude in- und auswendig – obwohl er in der Wachwelt nie hier gewesen war.
»Sucht alles ab«, sagte Corvas. »Ruft mich, wenn ihr etwas findet, das euch verdächtig vorkommt.«
Er und Umbra nahmen sich Zimmer für Zimmer vor, verrückten Möbel, tasteten Wände und Böden ab, untersuchten jede noch so kleine Ritze im Mauerwerk. Jackon tat so, als würde er sich im oberen Stockwerk umsehen, doch in Wirklichkeit wollte er nur allein sein.
Zahllose Fragen tobten durch seinen Kopf.
Eine vage Ähnlichkeit zwischen der Sternwarte und Liams
Seelenhaus hätte er als seltsamen Zufall abtun können. Aber nicht diese exakte Übereinstimmung.
Die meisten Menschen bildeten ihr Seelenhaus dem Gebäude nach, in dem sie in der Wachwelt lebten. Das konnte nur bedeuten, dass Liam für längere Zeit in der Sternwarte gewohnt hatte oder das Observatorium zumindest sehr gut kannte.
Aber Liam stammte aus dem fernen Torle. Vor dem Tod seiner Eltern war er nie in Bradost gewesen.
Hatte er zumindest behauptet. Was, wenn das eine Lüge gewesen war?
Corvas hatte gesagt, der einstige Bewohner der Sternwarte, der Blitzhändler Fellyn Satander, habe einen Sohn, der bei Verwandten in Torle lebe.
War Liam Fellyn Satanders Sohn?
Das kann nicht sein , dachte Jackon. Das kann einfach nicht sein …
Ein Teil von ihm registrierte, dass Umbra nach ihm rief, doch er war nicht fähig, sich von der Stelle zu bewegen. Schließlich erschien die Leibwächterin auf der Treppe.
»Kommst du endlich?«, fragte sie. »Wir haben etwas gefunden. «
Mechanisch stieg er die Stufen hinab.
Corvas hatte eine verborgene Tür entdeckt, eingelassen ins Mauerwerk unter der Treppe. Dahinter befand sich ein Geheimfach, groß genug, dass sich ein erwachsener Mensch darin verstecken konnte. Corvas untersuchte es gründlich und klopfte sich den Staub von seinem schwarzen Rock, als er aufstand. »Nichts«, stellte er fest.
»Die anderen Zimmer sind auch leer«, sagte Umbra und wandte sich an Jackon. »Was ist mit dem Obergeschoss?« Als er nicht reagierte, wiederholte sie ungeduldig: »Das Obergeschoss, Jackon. Hast du etwas gefunden?«
»Nein«, murmelte er. »Da ist nichts. Gar nichts.«
»Was zum Teufel ist denn los mit dir? Seit wir hier sind, machst du ein Gesicht, als hättest du eine Harpyie gesehen.«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich fühle mich nicht wohl, das ist alles.«
Die beiden
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