Pandaemonia 03 - Phoenixfeuer
Madalin«, antwortete Vivana.
Nachdem sich die Gefährten an den Vorräten gestärkt hatten, erzählte Lucien von seinem Besuch bei Mama Ogda und was er dort herausgefunden hatte. Sein Bericht fiel äußerst knapp aus, und Vivana hatte den Verdacht, dass er ihnen auf typische Lucienart wieder einmal die Hälfte verschwieg.
»Die Bleichen Männer verstecken sich also in einem alten Garten in Scotia«, sagte Vivana.
Lucien nickte. »Morgen gehen wir dorthin.«
»Wieso nicht gleich?«
»Du willst ihnen nicht bei Nacht begegnen, glaub mir.«
Sie schauderte und musste wieder an den alten Kinderreim denken:
Grüne Spiegel, tote Augen, lass dir nicht die Seel' aussaugen.
»Außerdem müssen wir zuerst einen Weg finden, um uns vor ihnen zu schützen, bevor wir sie aufsuchen«, fuhr Lucien fort. »Am besten benutzt du dafür deine neuen Kräfte.«
Vivana zuckte innerlich zusammen. »Aber das kann ich nicht. Es ... es ist noch zu früh.«
»Unsinn. Als du Jackon prüfen wolltest, konntest du es doch auch.«
»Das war etwas anderes.« Bei Jackons Prüfung hatte sie nur etwas nachgemacht, das sie sich bei Tante Livia abgeschaut hatte. Das war einfach gewesen, einfach und berechenbar, und das meiste hatte die Perle von allein erledigt. Bei dem Gedanken, ihre Kräfte ohne jegliche Orientierung einzusetzen, bekam sie es mit der Angst zu tun.
»Ich fürchte, du hast keine Wahl«, sagte der Alb. »Die Bleichen Männer sind mächtig. Ohne Magie sind wir ihnen nicht gewachsen. Aber ich kann dir helfen, wenn du möchtest. Wir schauen uns gemeinsam Livias Bücher an und suchen nach einem geeigneten Schutzzauber.«
»Verstehst du überhaupt etwas von Manuschzauberei?«
»Ein wenig.«
Vivana drehte eine Haarsträhne zwischen den Fingern. Es hatte keinen Sinn, noch länger zu warten — irgendwann musste sie sich ihren neuen Kräften stellen. Ob es ihr gefiel oder nicht. Sie stand auf.
»Wo willst du hin?«, fragte Lucien.
»Livias Bücher holen. Es ist wohl am besten, wir fangen gleich an.«
Nachdem Vivana den Raum verlassen hatte, griff Lucien in seine Hosentasche und holte eine Rauchglasphiole hervor. »Die ist für dich«, wandte er sich an Jackon. »Ich musste Mama Ogda versprechen, sie dir zu geben, als Gegenleistung für ihre Hilfe.«
Mit gerunzelter Stirn nahm Jackon das Fläschchen entgegen. »Was ist das?«
»Eine destillierte Erinnerung.«
»Eine was?«
»Die Erinnerung einer fremden Person. Mama Ogda hat sie so verarbeitet, dass andere Leute sie erleben können, als wäre es ihre eigene.«
»Und was soll ich damit?«
»Mama Ogda möchte, dass du sie trinkst.«
»Wieso? Und warum schenkt sie mir so etwas? Ich kenne sie doch überhaupt nicht.«
»Die Erinnerung hat etwas mit Umbra zu tun.«
Jackons Interesse erwachte. Umbra mochte auf der falschen Seite stehen, doch er vermisste sie sehr. »Was passiert, wenn ich sie trinke?«
»Ich weiß es nicht. Mama Ogda hat mir zwar versichert, dass die Erinnerung nicht gefährlich für dich ist, aber ich würde nicht die Hand für sie ins Feuer legen. Ich sage dir offen, wie es ist, Jackon: Ich habe mit ihr einen Handel abgeschlossen — einen Handel zwischen Schattenwesen. Daran fühle ich mich gebunden. Da die Vereinbarung von mir verlangt, dich dazu zu bringen, die Erinnerung zu trinken, muss ich dich bitten, es zu tun. Aber zwingen werde ich dich nicht.«
In diesem Moment kam Vivana mit den Büchern zurück, und Lucien und sie verzogen sich in eine der Kammern, wo sie ungestört waren.
Jackon wusste nicht, was er von alldem halten sollte. Er legte die Phiole zu seinen Sachen und beschloss, morgen weiter darüber nachzudenken, was dieses seltsame Geschenk bedeuten mochte.
Im Lauf des Abends wurde seine Neugier jedoch immer quälender. Wieso wollte eine wildfremde Person, dass er eine Erinnerung trank, die etwas mit Umbra zu tun hatte? Später, als seine Gefährten bereits schliefen, holte er die Phiole hervor, setzte sich in den Eingangsraum und betrachtete sie im Licht der Gaslampen.
Was war schlimmer? Vor Neugier die ganze Nacht nicht schlafen zu können — oder ein Elixier mit unbekannter Wirkung zu trinken?
Er dachte eine geschlagene Stunde darüber nach.
Umbra war ein einziges Rätsel. Nur ein einziges Mal hatte sie ihm einen Einblick in ihre Vergangenheit gewährt. Er hatte sich stets gewünscht, mehr über sie zu erfahren.
Bot sich ihm nun die Gelegenheit dazu?
Aber was, wenn Lucien sich irrte und die Erinnerung doch gefährlich war?
Jackon
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