Pandaemonium - Die Letzte Gefahr
gerade Sitzposition zu bringen und sich weiter bis ans Ende zu ziehen.
Als Nächste war Naomi dran. Wie Rafael rutschte sie ein paar Mal an der glitschigen Rinde ab, schaffte es aber letztlich sicher hinüber.
König folgte zum Schluss.
»Bist du verletzt?«, fragte Naomi voller Sorge ihre Mutter, die auf der Erde saß und ihre nackte, gerötete Fußsohle betrachtete.
»Nicht weiter schlimm, Schatz!« Dann schüttelte ein Hustenanfall sie, und Naomi war erneut zum Heulen zumute. Als Simone nicht mehr husten musste, zog sie Socke und Schuh entschlossen wieder an. »Ich hatte wohl Glück im Unglück.«
Bevor sie weitergingen, blickte Naomi zu dem vor ihnen liegenden Schifffahrtskanal. Holzstücke schwammen auf dem Wasser.
Würden auch dort bald die ersten Leichen den Strom hinabtreiben?
66
Gabriela trat auf die Bremse. Zu spät hatte sie die Menschengruppe gesehen, die einfach auf die Straße gerannt war, ohne sich umzuschauen. Der Landrover rutschte einige Meter über den nassen Asphalt, bevor er unmittelbar vor den Leuten zum Halten kam. Einen Augenblick standen sie wie angewurzelt vor der Schnauze des Wagens und machten große Augen, doch dann rannten sie weiter. Die Infizierten, vor denen die Gruppe geflohen war, tauchten auf dem Gehweg auf. Gabriela schaute der Gruppe noch kurz hinterher, wie sie in eine Parkanlage flüchtete, dann fuhr sie weiter. Paul auf dem Beifahrersitz drehte den Lautstärkeregler des Radios hoch.
Berlin 1 war der einzige Radiokanal in der Stadt, der noch sendete. Er kannte die Stimme der Sprecherin. Normalerweise moderierte sie eine Morgenshow und las die Verkehrsnachrichten. Jetzt berichtete sie aufgeregt über die katastrophale Lage in der Stadt. Nicht nur in der Zeltstadt, sondern auch in allen anderen Stadtteilen war es gleichzeitig zu einem explosionsartigen Ausbruch der Krankheit gekommen. Die Menschen waren nun überall im Stadtgebiet in Panik geraten.
»… mein Kollege Frank Schindler berichtet von einem riesigen Strom Menschen, der sich zu Fuß über die Ring- und Ausfallstraßen in Richtung der Stadtgrenze bewegt … Gerade kommt eine Meldung herein, dass es zu einer Massenkarambolage von Pkws auf der rund um Berlin verlaufenden A10 gekommen ist. Wie ein Regierungssprecher mitteilte, wird es auf Grundlage der Notstandsgesetze zu einem verstärkten Einsatz der Bundeswehr im Inneren kommen, die zusammen mit der angeforderten Verstärkung polizeilicher Einsatzkräfte aus anderen Bundesländern dafür sorgen wird, die Stadtgrenzen abzusichern, um die Ausbreitung des Virus über die Grenzen Berlins hinaus zu verhindern …«
Die Stimme im Radio berichtete weiter … und es waren nichts als Katastrophen, die sie mitzuteilen hatte: ein Feuer in einem Heizkraftwerk in Berlin-Neukölln, Brände in Häusern, Plünderungen von Läden und Stromausfälle im gesamten Stadtgebiet. Nach der Ankündigung einer Rede des Kanzlers, der sich am heutigen Abend an die Nation wenden würde, schaltete Paul das Radio aus.
Die weitere Fahrt in Richtung Brandenburger Tor wurde zu einem einzigen Parcourslauf, bei dem Gabriela alle hundert Meter abbremsen und Hindernissen ausweichen musste: Wagen, die mitten auf der Fahrbahn standen, brennende Autowracks, flüchtende Menschen oder solche, die überfahren oder von Infizierten getötet worden waren und auf der Straße lagen … manche tot, manche noch am Leben.
Außerdem mussten sie auf der Hut sein, nicht in das Feuer von Bundespolizei und Militär zu geraten, die überall auf den Straßen standen und die Infizierten unter Beschuss nahmen. Nach einer ganzen Weile erreichten sie die Straße des 17. Juni und fuhren den Tiergarten entlang auf die Siegessäule zu.
Witter, der auf dem Rücksitz des Wagens saß und die ganze Zeit nichts gesagt hatte, blickte aus dem Fenster hinüber in den Park. Der Tiergarten, der im Sommer von Menschen bevölkert war, die dort grillten oder sich auf den Grünflächen sonnten, lag einsam und verlassen da. Ein paar Vögel, die auf den Ästen saßen, und mehrere Kaninchen, die zwischen Sträuchern herumhüpften, verliehen dem Park einen Eindruck von Normalität, der angesichts der Lage in Berlin pervers war. Eine Oase der Ruhe und des Friedens , kam es ihm kurz in den Sinn. Ein absonderlicher Gedanke bei all dem Tod und dem Elend in der Stadt.
Er schaute schon wieder nach vorne, als er ein Stück vor ihnen zwischen den Bäumen einen schwarz gekleideten Mann entdeckte, der auf einem Weg parallel zur Straße durch den
Weitere Kostenlose Bücher