Pandaemonium - Die Letzte Gefahr
kam abrupt zum Stehen. König hatte eine Vollbremsung hingelegt.
Simone stand unter Schock und wimmerte. Ihr Blick fiel auf das Loch im Kopf der Frau; Blut quoll daraus hervor und breitete sich langsam auf dem Gang aus.
Naomi half ihrer Mutter auf die Beine. Dann drückte sie sie fest an sich und strich ihr sanft übers Gesicht, um sie zu beruhigen. Sie selbst zitterte nur ein ganz klein wenig. Naomi wirkte gefasst, so als hätte sie so etwas nicht zum ersten Mal getan. Wahrscheinlich würde ihr erst viel später richtig bewusst, dass sie soeben einen Menschen getötet hatte – auch wenn es »bloß« eine blutrünstige Infizierte gewesen war. Naomi ahnte dies schon jetzt. Und dann? Nun, damit es zu einem »Dann« kommen konnte, galt es, erst einmal das »Jetzt« zu überleben.
Jimmy dachte sich seinen Teil. Er hielt aber diesmal seinen Mund und verkniff sich jeden spöttischen Spruch, was die Waffe anging, die zu tragen das Mädchen lange abgelehnt hatte.
Rafael stand einfach nur still da, sprach kein Wort und starrte Naomi unentwegt an, die ihre Mutter im Arm hielt.
Schließlich unterbrach König die Stille und sagte trocken: »Jetzt wissen wir, wer die Fahrgäste umgebracht hat.«
Dann fuhr er weiter.
68
Es hatte tatsächlich geklappt. In all dem Chaos war es ihnen gelungen, sich an der vereinbarten Stelle wiederzutreffen. Die gesamte Mannschaft, die den Zaun am Brandenburger Tor überwacht hatte, war verschwunden, auch die Wachposten, die zuvor auf den Türmen gesessen hatten. Doch Witter, Paul und Gabriela waren da.
»Ziehen Sie das hier an«, forderte König die drei auf. Er streckte ihnen die Schutzanzüge entgegen, die Naomi vor ihrer Flucht vom Campus des Virchow-Klinikums aus dem Krankenwagen mitgenommen hatte.
Paul und Gabriela zogen die Anzüge an, nur Witter schüttelte den Kopf.
»Nein«, erklärte er. »Ich habe sowieso nicht mehr lange zu leben.«
»Bitte, Herr Witter, ziehen Sie ihn an!«, sagte Naomi. »Wir brauchen Sie noch. Außerdem werden die Anzüge verhindern, dass man auf uns schießt. Polizei und Militär feuern nicht auf Personal in Schutzanzügen.«
Witter zögerte.
»Bitte!«, wiederholte Naomi noch einmal mit Nachdruck.
»Na gut«, antwortete er, nahm den Anzug und schlüpfte hinein.
»Sehr schön. Und jetzt steigen Sie bitte in den Geländewagen!«
Während König loslief, um das Tor der Durchlassstelle zu öffnen, zwängten sich Rafael, Naomi, Paul und Gabriela auf die Rückbank des Jeeps. Witter ließ sich vorne auf dem Beifahrersitz ins Polster sinken. Jimmy, der zu Simone in den Kofferraum stieg, fing auf einmal laut zu husten an. Die anderen drehten sich zu ihm nach hinten um. Weil er seitlich abgewandt zu ihnen saß, sahen sie nicht sein Gesicht, sondern nur Simones sorgenvollen Blick.
»Kümmert euch um euren eigenen Scheiß!«, fuhr Jimmy die anderen an, als er bemerkte, dass ihn alle anschauten. Auf einmal zog er den Schutzhelm von seinem Kopf und drehte sich zu ihnen herum.
»Was glotzt ihr so blöde?«, fauchte er sie durch das Trenngitter an.
König, der gerade in den Wagen stieg, bemerkte die entsetzten Gesichter der anderen. »Was ist …?«, begann er und brach mitten im Satz ab, als er Jimmys blutverschmierten Mund sah.
»Jimmy hat’s auch erwischt«, stellte Naomi fest.
»Dieses Mal muss ich der Kleinen recht geben«, sagte Jimmy und begann wieder zu husten.
Simone streckte ihm ein Taschentuch hin. Er nahm es entgegen und wischte sich das Blut vom Mund ab. Mit einer Mischung aus Neugier und Furcht blickten sie durch das Gitter auf ihn – wie auf ein Raubtier in einem Käfig.
Jimmy reagierte gereizt und schrie: »Fahren wir jetzt verdammt noch mal los oder nicht?«
»Ja, sofort«, antwortete König.
Er war schockiert, dass sich nun auch Jimmy angesteckt hatte. Weder mochte er ihn, noch hatte er das Geringste für all das übrig, für das dieser Kleindealer stand, doch sie alle waren irgendwie zu einer Schicksalsgemeinschaft geworden. Wen erwischte es als Nächsten? Er musste wieder an seine Frau und die Kinder denken, während er den Zündschlüssel im Schloss herumdrehte, losfuhr und durch das Tor raste.
69
Schanz vermied es, entlang der Sehenswürdigkeiten von Berlin-Mitte zu seinem Büro zu fahren. Weinert hatte ihn davor gewarnt, weil die Wahrscheinlichkeit groß war, dass es dort von Infizierten nur so wimmelte. Aufnahmen aus Hubschraubern und Satellitenbilder hatten gezeigt, dass viele Infizierte dorthin geströmt waren. Niemand wusste
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