Pandaemonium - Die Letzte Gefahr
ertränken. Bisher war sein einziger Freund der Alkohol gewesen, jetzt aber keimte zum ersten Mal seit langer Zeit wieder ein wenig Hoffnung auf, dass sich mit Gabriela sein Leben in positiver Weise verändern könnte. Er glaubte wieder an das Gute – vor allem glaubte er an Gabriela.
Plötzlich drängte sich ihm ein Gedanke auf. Er ging ins Schlafzimmer, öffnete den Kleiderschrank und zog hinter Hemden und Anzügen einen alten Kosmetikkoffer hervor, den er dort versteckt hatte. Er war rund, aus knallrotem Kunstleder und hatte einmal Diane gehört. Seit ihrem Tod hatte er ihn nicht mehr angerührt. Zu viele schmerzhafte Erinnerungen waren damit verbunden. Für einen Moment überkam Paul eine tiefe Trauer. Er setzte sich aufs Bett und begann, leise zu weinen. Er sah Diane vor sich: am Flughafen, wie sie beide zum ersten Mal gemeinsam nach Italien verreisten und sie ihn anlächelte – mit dem Beautycase in der Hand, den sie sich neu gekauft hatte und der perfekt zu ihrem rot gepunkteten Sommerkleid und den roten Ballerinas passte.
Bis heute wäre ihm nie in den Sinn gekommen, den Schminkkoffer jemals wieder zu öffnen, aber auf einmal überwältigte ihn ein innerer Drang, es zu tun.
Er brachte ihn ins Wohnzimmer, setzte sich auf die Couch und stellte ihn auf seinem Schoß ab. Sofort verspürte er ein flaues Gefühl im Magen und zögerte, den kleinen Koffer aufzuklappen; fast schien es ihm, als ob er gleich die Büchse der Pandora öffnen und danach alles Unheil der Welt über ihn hereinbrechen würde.
Schließlich gab er sich einen Ruck, drückte den Klickverschluss und hob den Deckel an. Eine Welle von Gefühlen überspülte ihn, als er Dianes alte Schminkutensilien sah: die knalligen Lippenstifte – in Lila, Rot, Neongrün und Orange –, von denen manche noch nagelneu, andere schon zur Hälfte aufgebraucht waren; die Plastikdöschen mit Lidschatten in bunten Farben; der Haarlack in einer giftgrünen Dose. Eine Haarbürste mit einem Holzgriff fiel ihm ins Auge. Er nahm sie heraus und betrachtete sie. In den Borsten hingen noch vereinzelt Haare von Diane. Behutsam zog er eines heraus und legte es neben das von Gabriela. Die beiden sahen fast identisch aus. War das Zufall?
Er konnte nicht mehr länger darüber nachdenken, denn plötzlich vernahm er ein Scharren vor seiner Wohnungstür. Es klang so, als ob jemand draußen am Holz entlangkratzte. Paul stand auf und ging in den Flur. Je näher er der Eingangstür kam, umso lauter wurde das Kratzen und umso ängstlicher wurde ihm zumute. Er hielt inne und fragte sich, ob er der Ursache des unheimlichen Geräuschs wirklich auf den Grund gehen wollte – oder ob er sich nicht lieber mit einer Flasche Bourbon ins Bett verkrümeln sollte. Im selben Moment verstummte das Kratzen.
Paul näherte sich vorsichtig der Tür und schaute durch den Spion. Zunächst sah er nur schwarz. Hielt jemand die Hand vor die Linse? Dann wurde es kurz hell, und ein Auge schob sich davor. Paul sah die extrem große Pupille und stark sichtbare Äderchen im Weiß des Augapfels. Erschrocken zuckte er zurück. Als er erneut durchs Guckloch spähte, war der Besitzer des Auges ein Stück von der Tür zurückgetreten. Paul erkannte ihn wieder: Es war Anton Strutzke, der Hausmeister.
Er sah aus wie immer; Paul kannte ihn gar nicht anders: Strutzke trug seine helle Glanzjogginghose – die vorne Pissflecken hatte, weil er offenbar keine Unterhose trug –, dazu das graue, an den Ärmeln zu kurze Sweatshirt, das wohl einmal schwarz gewesen und vom vielen Waschen ausgebleicht war. Seine nackten Füße steckten in hässlichen Cord-Pantoffeln. Früher hatte Strutzke wohl einmal eine muskulöse Figur gehabt, war dann aber richtig fett geworden, als er aufgehört hatte, Hanteln zu stemmen.
In der Vergangenheit hatte Paul des Öfteren Bekanntschaft mit ihm gemacht. Der Hausmeister war immer dann bei ihm aufgetaucht, wenn Bewohner im Haus sich in ihrer nächtlichen Ruhe gestört gefühlt und ihn deswegen angerufen hatten. Denn in den ersten Monaten nach seinem Einzug hatte Paul noch eine Weile nachts Partys veranstaltet – in der Regel mit leicht bekleideten Damen, die er aus seiner Zeit als Werbe-Fuzzi kannte und die, wenn sie genügend Alkohol und Drogen eingeworfen hatten, lautstark lachten und herumkreischten. Strutzke hatte sich dann immer wie ein Stasi-Offizier gebärdet und gedroht, er würde dafür sorgen, dass Paul aus dem Haus rausflöge, falls das mit den Partys nicht aufhörte. Paul hatte
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