Pandaemonium - Die Letzte Gefahr
dich!«
»Ich hab ihn nicht absichtlich zu euch geführt«, jammerte Paul. »Es blieb mir nichts anderes übrig. Er hat mich dazu gezwungen.«
»Weißt du, ob er noch lebt?«, fragte Naomi.
»Keine Ahnung.« Paul zuckte mit den Schultern. »Ich hab ihn seitdem nicht mehr gesehen. Ich bin damals schnell abgehauen und hab mich in meiner Wohnung versteckt, als die Bullen oben auf dem Dach angefangen haben rumzuballern.«
»Und was machst du jetzt hier unten?«, verlangte Jimmy zu wissen und schaute ihn böse an.
»Nachdem ich gesehen hab, wie sie draußen alle verschwunden sind, hab ich mir gedacht, dass ich vielleicht irgendwie hier rauskomme. Aber geht wohl doch nicht so leicht.« Er blickte zu den Fenstern und der Tür, die von außen wieder mit Brettern zugenagelt worden waren, nachdem Weinert und sein Gefolge das Gebäude verlassen hatten.
»Red keinen Schwachsinn!«, entgegnete Jimmy und ging zu einem Feuerlöscher an der Wand.
Er riss ihn herunter und lief damit zur Tür. Mehrmals schlug er mit dem stählernen Objekt gegen das Glas, bis es zersprang. Vorsichtig brach er die verbliebenen Scherben aus dem Rahmen und rammte anschließend einige Male den Feuerlöscher gegen eines der Bretter, bis es sich gelockert hatte. Mit der Hand löste er es dann aus der Verankerung. Nachdem er damit fertig war, halfen die drei anderen ihm dabei, weitere Bretter herauszubrechen. Schließlich hatten sie eine Öffnung geschaffen, die groß genug war, um durch sie hinauszuklettern.
Kurz darauf standen sie vor der Tür im Zaun, durch die zuvor der Bürgermeister und seine Entourage ins Gebäude hereingelassen worden waren. Das Tor war allerdings zugesperrt.
»Dann müssen wir eben drüberklettern«, meinte Jimmy.
Er lehnte sich mit dem Rücken gegen den Zaun und verschränkte die Hände auf Bauchhöhe, sodass sie einen Tritt bildeten. Naomi setzte einen Fuß darauf, stieg mit dem anderen auf Jimmys Schulter und zog sich über die Kante des Zauns; auf der anderen Seite ließ sie sich einfach herunterfallen. Danach versuchte es Witter mit der Räuberleiter. Zunächst rutschte er ab, doch mit Pauls tatkräftiger Hilfe gelang es ihm, hinüberzuklettern. Als Nächster kam Paul und am Schluss Jimmy, der sich ohne die Hilfe eines anderen ziemlich abmühen musste, um hochzukommen und sich über den Zaun zu hangeln.
Auf der anderen Seite war nichts zu sehen außer Ödnis und Leere. Der Parkplatz vor dem Plattenbau war wie leer gefegt, alles war abtransportiert und die Fläche fein säuberlich hinterlassen worden. Nichts deutete darauf hin, dass hier vor kurzer Zeit noch eine Hundertschaft der Polizei und andere Einsatzkräfte zugange gewesen waren.
Naomi und die anderen liefen zu der Absperrung, die zur Seite geräumt worden war, damit die Fahrzeuge vom Gelände hatten fahren können. Mitten auf dem Gehweg dahinter stand ein Kinderwagen, und ein Fahrrad lehnte einsam an einem der Bäume entlang der Allee, die längst alle ihre Blätter verloren hatten. Auf der vierspurigen Straße waren in beide Richtungen keine Autos zu sehen, nur ein verlassener Bus mit offen stehender Tür parkte an der Haltestelle. Es machte den Anschein, als ob die Menschen mit einem Mal alles stehen und liegen gelassen hatten und geflüchtet waren. Aber vor was?
Naomi stieß mit ihrem Fuß gegen eine Menüschale aus Styropor. Überall auf dem Boden war zwischen den herabgefallenen Herbstblättern Müll verstreut: Zigarettenschachteln, Zettel und leere Packungen, die der Wind von wer weiß woher herbeigeweht hatte.
Die ungewohnte Stille – es war, als hätte jemand die Geräusche der Stadt mit einem Mal abgeschaltet – beunruhigte Naomi mehr, als jeglicher Lärm es vermocht hätte. Außer dem Pfeifen des Windes und dem Krächzen eines Raben, der über ihre Köpfe hinwegflog, war nichts zu vernehmen – keine Autogeräusche, nicht das Knattern eines Mofas oder Mopeds, kein Hupen, keine Straßenbahn, keine Geräusche aus der U-Bahn, kein Bellen von Hunden, keine Stimmen, kein Kindergeschrei.
Auch die sonst üblichen Gerüche – der Gestank aus den Auspuffen und der Kanalisation, der Fettgeruch des Imbissstandes neben der U-Bahn – waren verschwunden. Stattdessen lag etwas Beißendes, Süßliches in der Luft: Verwesung.
»Was ist hier nur passiert?«, fragte Naomi laut, als sie die Allee hinunterblickte in der Hoffnung, irgendwo einen Menschen zu sehen. Aber außer einer Zeitung, die der Wind über die leere Straße und dann hinab in den Eingang der
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