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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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Irgendjemand hat ein Dutzend Bücher hiergelassen, die alle schon vor langer Zeit verboten worden sind. Er blättert in einem davon.
    »Du bist dran«, sage ich, woraufhin er zusammenzuckt und das Buch mit einem Knall zuklappt. Er richtet sich auf und dreht sich mit schuldbewusstem Gesicht zu mir um. Dann verändert sich sein Blick, aber ich kann den Ausdruck nicht deuten.
    »Schon okay«, sage ich. »Du kannst hier lesen, was du willst.«
    »Ich …«, setzt er an, dann bricht er kopfschüttelnd ab. Er sieht mich immer noch so eigenartig an. Meine Haut glüht. Das Badewasser war offenbar zu heiß. »Ich erinnere mich an dieses Buch«, sagt er schließlich, aber ich habe das Gefühl, dass er eigentlich etwas anderes sagen wollte. »Es war im Arbeitszimmer meines Vaters. Seinem zweiten Arbeitszimmer. Dem, von dem ich dir erzählt habe.«
    Ich nicke. Er hält das Buch hoch. Große Erwartungen von Charles Dickens.
    »Das habe ich noch nicht gelesen«, gebe ich zu. »Tack hat immer gesagt, es sei eins seiner Lieblingsbücher …« Ich hole tief Luft, als mir klar wird, dass ich Tacks Namen nicht hätte nennen dürfen. Ich habe Julian eingeweiht. Aber er ist und bleibt Julian Fineman, und die Stärke der Widerstandsbewegung liegt in ihrer Geheimhaltung.
    Glücklicherweise geht er nicht darauf ein. »Mein Bruder …« Er hustet und beginnt noch mal. »Ich habe dieses Buch bei seinen Sachen gefunden. Nachdem er gestorben war. Ich weiß nicht, warum; ich weiß nicht, was ich eigentlich gesucht habe.«
    Einen Weg zurück , denke ich, aber ich spreche es nicht aus.
    »Ich habe es behalten.« Julian verzieht einen Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln. »Ich habe einen Schlitz in meine Matratze gemacht. Da habe ich es aufbewahrt, damit mein Vater es nicht findet. Noch am selben Tag habe ich angefangen es zu lesen.«
    »Ist es gut?«, frage ich.
    »Es ist voll von illegalen Sachen«, sagt Julian langsam, als würde er die Bedeutung der Worte überdenken. Er wendet den Blick ab und einen Moment herrscht tiefes Schweigen. Dann sieht er mich wieder an, und als er diesmal lächelt, ist sein Lächeln voller Licht. »Aber, ja. Es ist gut. Es ist großartig, finde ich.«
    Aus irgendeinem Grund lache ich; nur das, die Art, wie er es sagt, löst die Spannung im Zimmer, lässt alles einfach und überschaubar aussehen. Wir wurden entführt. Wir wurden geschlagen und gejagt. Wir kommen nicht nach Hause. Wir stammen aus zwei verschiedenen Welten und wir haben zu zwei verschiedenen Seiten gehört. Aber alles wird gut werden.
    »Ich habe dir ein Bad vorbereitet«, sage ich. »Es müsste inzwischen heiß sein. Du kannst dir saubere Kleider nehmen.« Ich zeige auf die Regalbretter, auf denen ordentlich beschriftete Stapel liegen: MÄNNERHEMDEN, FRAUENHOSEN, KINDERSCHUHE. Das ist natürlich Ravens Werk.
    »Danke.« Julian nimmt sich ein Hemd und eine Hose aus dem Regal und nach kurzem Zögern stellt er Große Erwartungen wieder zu den Büchern. Dann richtet er sich auf und drückt die Kleider an die Brust. »Hier ist es gar nicht schlecht.«
    Ich zucke mit den Schultern. »Wir tun, was wir können«, sage ich, aber insgeheim freue ich mich über sein Lob.
    Er geht um mich herum auf das Badezimmer zu. Als wir nebeneinanderstehen, hält er unvermittelt an. Sein ganzer Körper spannt sich an und dann durchläuft ihn ein Zittern. Eine Schrecksekunde lang denke ich: O Gott, er bekommt einen Anfall.
    Plötzlich sagt er einfach: »Deine Haare …«
    »Was?« Ich bin so überrascht, dass ich das Wort kaum herausbringe.
    Julian sieht mich nicht an, aber sein ganzer Körper strahlt eine gebannte Aufmerksamkeit aus und ich fühle mich ungeschützter, als wenn er mich direkt anstarren würde.
    »Deine Haare riechen nach Rosen«, sagt er, und bevor ich etwas erwidern kann, reißt er sich los und tritt auf den Flur hinaus und ich bleibe mit einem Flattern in der Brust allein zurück.
    Während Julian badet, mache ich uns Abendessen. Ich bin zu müde, um den alten Holzofen anzufeuern, deshalb stelle ich Cracker hin und öffne zwei Dosen mit Bohnen und je eine mit Pilzen und Tomaten; das kann man alles kalt essen. Es gibt auch gesalzenes Rindfleisch. Ich nehme nur eine kleine Dose davon, obwohl ich solchen Hunger habe, dass ich allein eine ganze Kuh vertilgen könnte. Aber wir müssen für andere etwas übrig lassen. Das ist eine Regel.
    Die Zuflucht hat keine Fenster. Ich schalte die Lampe aus, um die Batterien nicht zu verschwenden, aber ich finde ein paar

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