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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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gelesen, dass ein Aufprall auf dem Wasser aus dieser Höhe den gleichen Effekt hätte, wie auf Stein zu springen. Mir fällt die Nachricht von der Ungeheilten wieder ein, die sich umgebracht hat, indem sie am Tag ihres Eingriffs vom Dach der Labors gesprungen ist, und ich bekomme eine Gänsehaut.
    Dies hier hätte Alex sich für mich gewünscht: die Narbe an meinem Hals – erstaunlich gut verheilt, genau wie eine echte Eingriffsnarbe –, die zähen Muskeln, ein klares Ziel im Blick. Er hat an die Widerstandsbewegung geglaubt und jetzt werde ich für ihn daran glauben.
    Und vielleicht werde ich ihn eines Tages wiedersehen. Vielleicht existiert das Paradies ja wirklich. Und vielleicht ist es offen für alle, nicht nur für die Geheilten.
    Aber jetzt im Moment bedeutet die Zukunft genauso wenig wie die Vergangenheit. Jetzt ist da nur ein Stützpunkt aus Müll und Resten, am Rande einer zerstörten Stadt, direkt unterhalb einer riesigen städtischen Müllkippe. Das ist unser Ziel, auf das wir – hungrig und halb erfroren – zusteuern: ein Ort mit Essen und Wasser und Wänden, die die heftigen Winde abhalten. Das ist für uns das Paradies.

jetzt
    I
m Paradies gibt es heißes Wasser. Im Paradies gibt es Seife.
    Die Zuflucht – so haben wir diesen Stützpunkt immer genannt – besteht aus vier Räumen. Es gibt eine Küche, einen Lagerraum, der fast so groß ist wie der Rest des Hauses, und ein enges Schlafzimmer (vollgestellt mit klapprigen, klobigen Stockbetten).
    Außerdem gibt es ein Badezimmer. Mehrere Metallzuber sind zu Wannen in verschiedenen Größen umfunktioniert worden. Sie stehen auf einem erhöhten Podest, das mit einem großen Rost versehen ist; darunter liegen flache Steine mit verkohlten Holzstücken – Überbleibsel der Feuer, mit denen wir im Winter gleichzeitig Zimmer und Wasser geheizt haben.
    Nachdem ich in der Dunkelheit herumgesucht habe und auf eine batteriebetriebene Lampe gestoßen bin, entzünde ich mit dem Holz, das in einer Ecke des Lagerraums gestapelt ist, ein Feuer, während Julian mit einer Glaslaterne den Rest des Hauses erforscht. Dann hole ich Wasser aus dem Brunnen. Ich bin schwach und meine Arme zittern bereits, als ich erst eine halbe Wanne gefüllt habe. Aber das reicht.
    Ich hole mir ein Stück Seife aus dem Lager und finde sogar ein echtes Handtuch. Meine Haut juckt und kribbelt vor Dreck. Ich kann ihn überall spüren, sogar unter meinen Augenlidern.
    Bevor ich mich ausziehe, rufe ich: »Julian?«
    »Ja?« Seine Stimme klingt gedämpft. Offenbar ist er im Schlafzimmer.
    »Bleib, wo du bist, okay?«
    Das Badezimmer hat keine Tür. So etwas ist unnötig, und Dinge, die unnötig sind, werden in der Wildnis nicht gebaut, gemacht oder benutzt.
    Es entsteht eine kurze Pause. »Gut«, sagt er dann. Ich frage mich, was er wohl denkt. Seine Stimme klingt hoch, angespannt, obwohl dieser Eindruck auch von den Blech- und Spanplattenwänden kommen kann.
    Ich lege die Pistole auf den Boden, dann schlüpfe ich aus meinen Kleidern und freue mich darüber, wie meine Jeans schwer auf dem Boden aufprallt. Einen Moment sieht mein Körper ganz fremd aus, selbst in meinen Augen. Es gab eine Zeit, in der ich leicht rundlich war, trotz der Muskeln vom Laufen. Mein Bauch wölbte sich, meine Brüste waren voll.
    Jetzt bin ich ganz eingefallen – drahtig und hager. Meine Brüste sind zwei kleine, harte Spitzen; meine Haut ist von Blutergüssen überzogen. Ich frage mich, ob Alex mich immer noch schön finden würde. Ich frage mich, ob Julian mich für hässlich hält.
    Ich schiebe beide Gedanken beiseite. Sie sind unnötig, belanglos.
    Ich steige in die Wanne und schrubbe jeden Zentimeter meines Körpers: unter den Fingernägeln, hinter den Ohren, in den Ohren – zwischen den Zehen und zwischen den Beinen. Ich seife meine Haare ein und die Seife rinnt mir brennend in die Augen. Als ich schließlich aufstehe, immer noch ganz glitschig vor Seife, hat die Wanne einen Schmutzrand. Ich bin mal wieder dankbar dafür, dass es hier keine Spiegel gibt; mein Spiegelbild auf der Wasseroberfläche ist dunkel verschwommen, ein Schatten-Ich. Ich will nicht genauer wissen, wie ich aussehe.
    Ich trockne mich ab und ziehe saubere Kleider an: eine Jogginghose, dicke Socken und ein großes Sweatshirt. Das Bad hat mich belebt und ich habe genug Kraft, noch mehr Wasser aus dem Brunnen zu holen und eine weitere Wanne für Julian zu füllen.
    Er ist im Lagerraum, wo er vor einem niedrigen Regal hockt.

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