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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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dicke Kerzen – die schon fast ganz runtergebrannt sind – und stelle sie auf dem Boden auf. In der Zuflucht gibt es keinen Tisch. Als ich mit Raven und Tack hier gelebt habe, nachdem Hunter mit den anderen noch weiter nach Süden gezogen war, haben wir jeden Abend so gegessen, eng aneinandergedrängt über einen gemeinsamen Teller gebeugt, während unsere Schatten über die Wände flackerten. Ich glaube, das war für mich die glücklichste Zeit, seit ich Portland verlassen hatte.
    Aus dem Badezimmer höre ich Wasser plätschern und ein Summen. Auch Julian entdeckt die kleinen Dinge, die das Paradies ausmachen. Ich gehe zur Haustür und ziehe sie einen Spaltbreit auf. Die Sonne geht bereits unter. Der Himmel ist blassblau und mit rosa- und goldfarbenen Wolken durchsetzt. Der Metallabfall um die Zuflucht herum – der Schrott und die Granatsplitter – glüht rot. Ich meine, eine kurze Bewegung links von mir wahrzunehmen. Das muss wieder die Katze sein, die sich einen Weg durch den Müll bahnt.
    »Wonach guckst du?«
    Ich fahre herum und knalle versehentlich die Tür zu. Ich habe Julian nicht kommen hören. Er steht dicht hinter mir. Ich kann seine Haut riechen, er duftet seifig und doch immer noch nach Junge. Seine Haare locken sich nass an den Spitzen.
    »Nichts«, sage ich, und dann, weil er einfach nur dasteht und mich anschaut, füge ich hinzu: »Du siehst fast wieder aus wie ein Mensch.«
    »Ich fühle mich auch fast wieder wie ein Mensch«, sagt er und fährt sich mit der Hand durchs Haar.
    Ich bin froh, dass Julian nicht zu viele Fragen über diesen Stützpunkt stellt und darüber, wer hier wohnt und wann er gebaut wurde. Ich bin sicher, dass er das bestimmt liebend gerne wissen würde. Ich zünde die Kerzen an. Wir setzen uns im Schneidersitz auf den Boden und eine Weile lang sind wir zu sehr mit Essen beschäftigt, um uns groß zu unterhalten. Aber nachdem unser Hunger gestillt ist, reden wir: Julian erzählt mir davon, wie er in New York aufgewachsen ist, und stellt mir Fragen über Portland. Er sagt, dass er Mathematik studieren will, und ich erzähle ihm vom Crosslauf.
    Wir reden nicht über das Heilmittel oder die Widerstandsbewegung oder die VDFA oder davon, was morgen sein wird, und in dieser Stunde, die wir uns gegenüber auf dem Boden sitzen, habe ich das Gefühl, einen echten Freund gefunden zu haben. Julian lacht gern, genau wie Hana. Er kann gut reden und noch besser zuhören. In seiner Gegenwart fühle ich mich eigenartig wohl – sogar wohler als in Alex’ Gegenwart.
    Eigentlich will ich diesen Vergleich gar nicht ziehen, aber es geschieht unwillkürlich, und der Gedanke ist plötzlich da. Ich stehe auf, während Julian gerade mitten in einer Geschichte ist, und bringe die Teller zur Spüle. Julian bricht ab und sieht mir zu, wie ich klappernd das Geschirr in das Becken stelle.
    »Alles in Ordnung?«, fragt er.
    »Wunderbar«, entgegne ich zu scharf. In diesem Moment hasse ich mich und Julian auch, ohne zu wissen, warum. »Bin nur müde.«
    Das stimmt immerhin. Plötzlich bin ich müder denn je. Ich könnte ewig schlafen; ich könnte mich vom Schlaf zudecken lassen wie von Schnee.
    »Ich hole uns ein paar Decken«, sagt Julian und steht auf. Ich spüre, wie er hinter mir zögert, und tue so, als wäre ich sehr beschäftigt an der Spüle. Ich kann ihn jetzt nicht ansehen.
    »Hey«, sagt er. »Ich habe mich noch gar nicht bei dir bedankt.« Er hustet. »Du hast mir das Leben gerettet da unten – in den Tunneln.«
    Ich zucke die Achseln, kehre ihm weiterhin den Rücken zu. Ich umklammere die Kanten des Spülbeckens so fest, dass meine Fingerknöchel weiß werden. »Du hast mir auch das Leben gerettet. Ich bin beinahe von einem Schmarotzer erstochen worden.«
    Ich spüre, wie er lächelt, als er weiterspricht. »Dann haben wir uns wohl gegenseitig gerettet.«
    Da drehe ich mich um; aber Julian hat bereits eine Kerze genommen und ist damit im Flur verschwunden, so dass ich allein mit den Schatten zurückbleibe.
    Julian hat zwei untere Betten ausgesucht und sie so gut es ging mit Laken, die nicht ganz passen, und dünnen Wolldecken bezogen. Den Rucksack hat er ans Fußende meines Bettes gelegt. Es gibt ein Dutzend Betten in dem Raum und trotzdem hat er zwei nebeneinanderliegende ausgesucht. Ich versuche nicht darüber nachzudenken, was das zu bedeuten hat. Er sitzt mit gesenktem Kopf auf seinem Bett und zieht sich die Socken aus. Als ich hereinkomme, sieht er mich mit einem so offenen,

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