Pandemonium
sehr dankbar, wenn Sie einfach mit Dr. Branshaw sprechen könnten – wenn Sie ihm sagen könnten, dass ich hier bin.«
»Ich muss die Daten durchs SÜS laufen lassen«, sagt sie. Jetzt hat sich der unglückliche Ausdruck in ihrem Gesicht noch verstärkt. Sie wirft einen trübseligen Blick hinter sich auf ihre Kaffeetasse und ich bemerke eine Zeitschrift, die halb unter einem Stapel Akten versteckt ist. Sie denkt zweifellos daran, dass sich ihr friedlicher Morgen gerade in Luft auflöst. Dann steht sie mühsam auf. Die Knöpfe an ihrem Schwesternkittel scheinen gerade noch so zu halten und der Stoff spannt über ihren Brüsten und ihrem Bauch. »Setzen Sie sich. Das wird ein paar Minuten dauern.«
Ich nicke mit dem Kopf und sie watschelt durch die Reihen aus Aktenschränken und verschwindet. Eine Tür geht auf und einen Augenblick höre ich Telefonklingeln und Stimmen. Dann geht die Tür wieder zu und alles ist still, abgesehen vom Ticken der Uhr.
Im nächsten Moment gehe ich durch die Doppeltür.
Der teure Eindruck reicht nicht bis hier. Hier gibt es die gleichen langweiligen Linoleumfliesen, die gleichen trüben beigefarbenen Wände wie in so vielen Labors und Krankenhäusern. Direkt links von mir ist eine weitere Doppeltür, auf der NOTAUSGANG steht; durch eine kleine Glasscheibe sehe ich ein enges Treppenhaus.
Mit quietschenden Turnschuhen gehe ich schnell den Flur entlang und suche die Türen auf beiden Seiten ab – die meisten von ihnen sind geschlossen, einige offene geben den Blick frei in leere, dunkle Räume.
Eine Ärztin mit einem Stethoskop um den Hals kommt auf mich zu und studiert eine Akte. Im Vorbeigehen wirft sie mir einen neugierigen Blick zu. Ich richte die Augen zu Boden. Glücklicherweise hält sie mich nicht an. Ich wische mir die verschwitzten Handflächen am Hosenboden ab.
Es ist ein kleiner Laborkomplex, und als ich das Ende des Flurs erreiche, sehe ich, dass der Aufbau einfach ist: Nur ein Korridor zieht sich längs durch das Gebäude, und über eine Reihe Fahrstühle im hinteren Teil gelangt man zu den übrigen sechs Stockwerken. Es scheint genauso angelegt zu sein wie das Labor in Portland. Ich habe keinen Plan, außer den, dass ich Julian unbedingt finden muss. Ich bin nicht sicher, was ich zu erreichen hoffe, aber das Gewicht des Messers, das ich gegen meinen Bauch drücke, ist beruhigend, ein scharfes Geheimnis.
Ich fahre mit dem Aufzug in den zweiten Stock. Hier ist mehr los: Piepgeräusche und gemurmelte Gespräche, Ärzte, die in Untersuchungszimmer hinein- und wieder herauseilen. Ich schiebe mich schnell durch die erste Tür rechts von mir, die sich als Zugang zu einer Toilette entpuppt. Ich versuche mich zu konzentrieren, versuche mich zu beruhigen. Auf dem Spülkasten steht ein Tablett mit einem Stapel Plastikbecher für Urinproben. Ich nehme mir einen und fülle ihn mit etwas Wasser, dann trete ich wieder auf den Gang hinaus.
Vor einem der Untersuchungszimmer stehen zwei Laborantinnen. Sie verstummen, als ich näher komme, und obwohl ich jeglichen Blickkontakt vermeide, spüre ich, wie sie mich anstarren.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte eine, als ich vorbeigehe. Beide Frauen sehen gleich aus und einen Moment halte ich sie für Zwillinge. Aber das liegt nur an den zurückgekämmten Haaren, den makellosen Kitteln und ihrem klinisch distanzierten Verhalten.
Ich halte ihnen den Plastikbecher unter die Nase. »Ich muss nur Dr. Hillebrand meine Probe bringen«, sage ich.
Die Frau, die mich angesprochen hat, zuckt ein winziges Stück zurück. »Dr. Hillebrands Assistentin ist im sechsten Stock«, sagt sie. »Dort können Sie sie abgeben.«
»Danke.« Ich spüre, wie sie mir mit den Augen folgen, als ich weiter den Flur entlanggehe. Die Luft ist trocken, überhitzt, und meine Kehle schmerzt jedes Mal, wenn ich versuche zu schlucken. Ich komme an einer Glastür vorbei. Dahinter sehe ich mehrere Patienten, die in weißen Papierkitteln in Sesseln sitzen und fernsehen. Ihre Arme und Beine sind an den Sesseln festgeschnallt.
Am Ende des Flurs gehe ich durch die Tür ins Treppenhaus. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird Dr. Hillebrand Julians Tod überwachen, und wenn seine Assistentin im sechsten Stock anzutreffen ist, ist es gut möglich, dass auch er dort den Großteil seiner Arbeit tut. Als ich im sechsten Stock ankomme, zittern mir die Knie, und ich weiß nicht, ob es an der Aufregung liegt oder am Schlafmangel oder an beidem. Ich werfe den Plastikbecher weg, dann
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