Pandemonium
erinnert.
»Ja. Oder nein. In gewisser Weise.« Ich improvisiere; sie runzelt die Stirn und ich versuche es noch mal. »Es geht nicht um mich. Ich muss etwas melden.« Ich senke meine Stimme zu einem Flüstern. »Ungenehmigte Aktivitäten. Ich glaube … ich glaube, meine Nachbarn sind infiziert.«
Sie klopft einmal mit den Fingernägeln auf die Theke. »Am besten ist es, Sie machen eine offizielle Meldung bei der Polizei. Sie können sich auch an jede städtische Regulierungsstelle wenden …«
»Nein.« Ich schneide ihr das Wort ab. Neben mir sind zusammengeheftete Aufnahmebögen gestapelt und ich rücke sie gerade, wobei ich die Liste der Ärzte, Patienten, Probleme überfliege – schlechter Schlaf/Träume!, unregulierte Stimmungen, Grippe –, und picke wahllos einen Namen heraus.
»Ich muss leider darauf bestehen, mit Dr. Branshaw zu sprechen.«
»Sind Sie seine Patientin?«, fragt sie gelangweilt und trommelt erneut mit den Nägeln.
»Dr. Branshaw wird wissen, was zu tun ist. Ich bin äußerst aufgebracht. Sie müssen das verstehen. Ich wohne direkt neben diesen Leuten. Und meine Schwester – sie ist noch ungeheilt. Es geht mir auch um sie, wissen Sie. Gibt es nicht eine Art – ich weiß nicht – Impfung, die er ihr geben könnte?«
Sie seufzt, dann wendet sie sich dem Computer zu, tippt schnell auf ein paar Tasten. »Dr. Branshaw ist heute völlig ausgebucht. Alle unsere medizinischen Spezialisten sind heute auf Grund eines außergewöhnlichen Ereignisses ausgebucht …«
»Ja, schon klar. Julian Fineman. Ich weiß Bescheid.« Ich mache eine wegwerfende Handbewegung.
Sie sieht mich mit gerunzelter Stirn an. Ihr Blick ist wachsam. »Woher wussten Sie …«
»Das ist doch überall in den Nachrichten«, unterbreche ich sie. Ich finde mich langsam in meine Rolle ein: die reiche, verwöhnte Tochter eines Politikers, eines altgedienten VDFA-Mitglieds vielleicht. Ein Mädchen, das es gewohnt ist, seinen Willen zu kriegen. »Natürlich wollen Sie die ganze Sache unter dem Teppich halten. Und sind nicht gerade scharf darauf, dass die Presse hier hereinstürmt. Keine Sorge, es wurde nirgends erwähnt, wo es stattfindet. Aber ich habe Freunde, die Freunde haben und … na ja, Sie wissen ja, wie sich solche Sachen rumsprechen.« Ich beuge mich vor, als wäre sie meine beste Freundin und ich würde ihr ein Geheimnis verraten. »Ich persönlich halte das ja für ein bisschen albern. Wenn Dr. Branshaw den Eingriff einfach früher gemacht hätte, als Julian schon mal hier war – ein kleiner Schlitz, ein kleiner Schnitt, so läuft es doch, oder? –, hätte diese ganze Sache vermieden werden können.« Ich richte mich wieder auf. »Das werde ich ihm auch sagen, wenn ich ihn sehe.« Ich spreche ein leises Gebet, dass Dr. Branshaw wirklich ein Mann ist. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings ziemlich hoch. Die medizinische Ausbildung ist langwierig und schwierig und von Frauen wird erwartet, dass sie sich stattdessen der Hausarbeit und den Kindern widmen.
»Julian Fineman ist nicht Dr. Branshaws Patient«, sagt die Krankenschwester schnell. »Er kann nichts dafür.«
Ich verdrehe die Augen, wie Hana es immer gemacht hat, wenn Andrea Grengol im Unterricht etwas besonders Dämliches gesagt hat. »Natürlich ist er das. Es weiß doch jeder, dass Dr. Branshaw Julians Hausarzt ist.«
»Dr. Hillebrand ist Julians Hausarzt«, verbessert sie mich.
Ich bin plötzlich ganz aufgeregt, verberge es aber mit einem weiteren Augenrollen. »Wie auch immer. Piepsen Sie Dr. Branshaw jetzt an oder nicht?« Ich verschränke die Arme und füge hinzu: »Bevor ich nicht mit ihm gesprochen habe, gehe ich hier nicht weg.«
Sie wirft mir einen Blick zu wie ein verwundetes Tier – vorwurfsvoll, als hätte ich sie in die Nase gekniffen. Ich störe sie, unterbreche ihre vormittägliche Routine. »Personalausweis, bitte«, sagt sie.
Ich angle Sarah Beth Millers Personalausweis aus der Tasche und reiche ihn ihr. Das Geräusch der Uhr scheint sich verstärkt zu haben. Das Ticken ist extrem laut und die Luft im Raum vibriert von dem Geräusch. Ich kann mich auf nichts weiter konzentrieren als auf die Sekunden, die tickend verstreichen und Julian dem Tod immer näher bringen. Ich zwinge mich, ruhig stehen zu bleiben, als sie sich stirnrunzelnd den Ausweis ansieht.
»Die Nummer ist nicht lesbar«, sagt sie.
»Er ist letztes Jahr in den Trockner geraten«, wische ich den Einwand beiseite. »Hören Sie, ich wäre Ihnen
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