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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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immer gedacht, das würde ich. Ich habe mir vorgestellt, sie wäre genau wie die Mutter in meiner Erinnerung, in meinen verschwommenen Träumen – rothaarig, lachend. Ich habe mir vorgestellt, sie würde nach Seife und Zitronen riechen und ihre Hände wären weich, von Creme geglättet.
    Jetzt wird mir natürlich klar, wie dumm das ist. Sie hat über ein Jahrzehnt in den Grüften in einer Zelle verbracht. Natürlich hat sie sich verändert, ist härter geworden.
    Ich schlage schnell das Buch zu, als könnte das helfen – als wäre ihr Name ein huschendes Insekt zwischen den Seiten und ich könnte ihn zurück in die Vergangenheit klatschen. Mutter. Unmöglich. Nach all dieser Zeit, meinem Hoffen, Wünschen und Suchen waren wir uns so nahe. Wir haben uns berührt.
    Und doch hat sie beschlossen sich nicht zu erkennen zu geben. Hat beschlossen wegzugehen.
    Mir wird übel. Blindlings stolpere ich durch die Diele, hinaus in den Nieselregen. Ich denke nicht nach, kann kaum atmen. Erst als ich mehrere Häuserblocks entfernt in der Sixth Avenue bin, vertreibt die Kälte langsam den Nebel aus meinem Kopf. Da wird mir bewusst, dass ich immer noch den Schlüssel zu dem verbotenen Arbeitszimmer umklammere. Ich habe vergessen, wieder abzuschließen. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich die Haustür hinter mir zugemacht habe – bestimmt habe ich sie offen stehen lassen.
    Das spielt jetzt keine Rolle. Nichts spielt eine Rolle. Ich komme zu spät, um Julian zu helfen. Ich komme zu spät, um etwas anderes zu tun, als ihm beim Sterben zuzusehen.
    Meine Füße tragen mich zur 18. Straße, wo Thomas Fineman der Hinrichtung seines Sohnes beiwohnen wird. Ich gehe mit gesenktem Kopf und umklammere den Griff des Messers in meiner Jackentasche.
    Vielleicht komme ich nicht zu spät, um Rache zu üben.
    Die Nordost-Klinik ist einer der angenehmeren Laborkomplexe, mit einer Steinfassade, schmiedeeisernen Balkonen und einem diskreten Messingschild, auf dem der Name eingraviert ist. Das Gebäude war wahrscheinlich früher eine Bank oder eine Post – zu der Zeit, als die Menschen noch selbst über ihr Geld verfügen durften und frei zwischen unbegrenzten Städten miteinander kommunizierten. Es sieht so würdevoll und bedeutend aus. Aber natürlich wird die Todesstrafe an Julian Fineman nicht zwischen ganz gewöhnlichen Bürgern vollstreckt, in einem der städtischen Krankenhäuser oder auf einer Station in den Särgen. Nur das Beste für die Finemans, bis zum allerletzten Moment.
    Endlich lässt der Nieselregen nach und ich bleibe an der Ecke stehen, in den bogenförmigen Eingang eines Nachbarhauses geduckt, und blättere schnell den Stapel mit Personalausweisen durch, die ich den Schmarotzern geklaut habe. Ich entscheide mich für Sarah Beth Miller, ein Mädchen, das mir vom Alter und Aussehen her ziemlich ähnelt, und bohre mit dem Messer ein tiefes Loch in die Größenangabe – eins dreiundsiebzig –, damit man sie nicht richtig lesen kann. Dann schnitze ich am Identitäts-Code unter ihrem Foto herum. Zweifellos ist die Nummer im System schon längst ungültig gemacht worden. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist Sarah Beth Miller tot.
    Ich streiche mir die Haare glatt, bete, dass ich wenigstens halbwegs anständig aussehe, und trete durch die Eingangstür des Labors.
    Im Inneren befindet sich ein geschmackvoll dekoriertes Wartezimmer mit einem flauschigen grünen Teppich und Möbeln aus Mahagoniholz. Das rhythmisch schwingende Pendel einer protzigen antiken – oder auf antik gemachten – Uhr an der Wand tickt leise. An einem langen Tisch sitzt eine Krankenschwester. Hinter ihr ist ein kleines Büro: eine Reihe aus metallenen Aktenschränken, noch ein Schreibtisch und eine Kaffeemaschine mit einer halb vollen Kanne. Aber die Uhr, die teuren Möbel und selbst der frische, duftende Kaffee können den Krankenhauseindruck mit seinem Laborgeruch nach chemischen Desinfektionsmitteln nicht überdecken.
    Rechter Hand ist eine Doppeltür mit geschwungenen Messinggriffen; dort geht es offenbar zu den Behandlungszimmern.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragt mich die Krankenschwester.
    Ich gehe direkt zu ihr, lege beide Hände auf die Theke und zwinge mich dazu, ruhig und selbstsicher zu wirken. »Ich muss mit jemandem sprechen«, sage ich. »Es ist sehr wichtig.«
    »Geht es um eine medizinische Angelegenheit?«, fragt sie. Sie hat lange, sorgfältig gefeilte Fingernägel und ein Gesicht mit schweren Hängebacken, das mich an eine Bulldogge

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