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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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Ausläufer von Rochester. »Keine Sorge.« Hunter drückt meine Schulter. »Auf dieser Seite der Grenze gibt es keine Patrouillen.«
    Ich bin jetzt seit anderthalb Monaten in der Wildnis und hatte die Zäune inzwischen fast vergessen. Unglaublich, wie nah ich die ganze Zeit über meinem alten Leben gewesen bin. Und doch bin ich so weit weg.
    Wir entfernen uns wieder vom Zaun. Bald sind wir in einer Gegend mit riesigen Bäumen, deren kahle Zweige grau und knotig sind wie arthritische Finger. Es mag Jahre her sein, seit sie das letzte Mal geblüht haben, die Bäume scheinen schon lange tot zu sein. Aber als ich das zu Hunter sage, lacht er nur und schüttelt den Kopf.
    »Die sind nicht tot.« Er klopft im Vorbeigehen mit den Knöcheln auf einen Ast. »Sie warten nur den richtigen Moment ab. Sparen ihre Kräfte. Sie haben ihre ganze Energie für den Winter gespeichert. Sobald es warm wird, blühen sie wieder. Du wirst schon sehen.«
    Seine Worte trösten mich. Du wirst schon sehen bedeutet Wir kommen wieder her . Es bedeutet Du bist jetzt eine von uns . Ich fahre mit den Fingern über einen Baum, spüre, wie die trockene Rinde unter meinen Fingerspitzen abbröckelt. Unmöglich, sich etwas Lebendiges unter all der Härte vorzustellen, dass da etwas strömt oder sich bewegt.
    Hunter bleibt so plötzlich stehen, dass ich ihn beinahe umrenne. »Da sind wir«, sagt er grinsend. »Die Nester.«
    Er zeigt nach oben. Hoch oben in den Ästen der Bäume ist ein enormes Gewirr aus Vogelnestern: Kringel und Zweige, Moosstücke und Hängepflanzen sind miteinander verwoben, so dass es aussieht, als hätten die Bäume Haare.
    Aber was noch seltsamer ist: Die Äste sind gefärbt.
    Die Rinde ist von blauen und gelben Farbspritzern gesprenkelt; vereinzelte, ebenfalls farbige Krallenabdrücke tanzen über die Nester.
    »Was …?« Ich sehe einen großen Vogel, ungefähr so groß wie eine Krähe, auf ein Nest direkt über unseren Köpfen zufliegen. Er lässt sich auf einem Ast nieder und beobachtet uns. Der Vogel ist schwarz, abgesehen von seinen Krallen, die leuchtend hellblau eingefärbt sind. Er trägt etwas im Schnabel. Nach einer Weile flattert er in das Nest und ein zwitschernder Chor setzt ein.
    »Blau«, sagt Hunter mit zufriedenem Gesichtsausdruck. »Das ist gut. Heute kommen Vorräte.«
    »Das verstehe ich nicht.« Ich gehe unter dem Netz aus Nestern hin und her. Es sind Hunderte. Einige Nester hängen sogar zwischen Ästen verschiedener Bäume und bilden einen dichten Baldachin. Hier ist es noch kälter, die Sonne kommt kaum durch.
    »Komm mit«, sagt Hunter. »Ich zeig’s dir.«
    Er schwingt sich in den nächstgelegenen Baum, hangelt sich leichtfüßig hinauf, wobei er die vielen Äste und Vorsprünge als Griffe und Trittstufen benutzt.
    Ich folge Hunter schwerfällig und versuche Hände und Füße an dieselben Stellen zu setzen wie er. Es ist lange her, seit ich das letzte Mal auf einen Baum geklettert bin, aber als Kind kam es mir mühelos vor: wie ich mich gedankenlos hoch in die Äste schwang und unbewusst die Ausbuchtungen und Einkerbungen fand. Jetzt ist es schwierig und schmerzhaft.
    Schließlich schaffe ich es bis zu einem der dickeren niedrigen Äste. Hunter sitzt rittlings darauf und wartet auf mich. Ich gehe hinter ihm in die Hocke. Meine Beine zittern etwas und er streckt die Arme nach hinten aus und gibt mir Halt.
    Die Nester sind voller Vögel: Berge aus glatten schwarzen Federn und zwinkernden schwarzen Augen. Sie hüpfen und picken in Haufen aus winzigen braunen Samen herum, Vorräte für den Winter. Mehrere Tiere fühlen sich von unserer Ankunft gestört und erheben sich kreischend und krächzend in die Lüfte.
    Die Nester sind von derselben kräftigen blauen Farbe bedeckt, ein Muster aus gezackten Krallenabdrücken, das die Vögel beim Hin- und Herflattern zwischen den Nestern hinterlassen.
    »Ich verstehe immer noch nicht«, sage ich. »Woher kommt die Farbe?«
    »Von der anderen Seite«, sagt Hunter und ich kann den Stolz in seiner Stimme hören. »Aus Zombieland. Im Sommer wachsen Blaubeeren jenseits des Zauns. Dort suchen sich die Vögel ihr Futter. Über die Jahre haben die Insider sie im Winter an Vogelfutter gewöhnt. Wenn sie uns jetzt eine Nachricht zukommen lassen wollen, stellen sie Futtertröge auf, die mit Farbe präpariert sind. Wenn die Vögel dann hierher zurückkommen, um Samen für später zu horten, werden die Nester eingefärbt. Blau, gelb oder rot. Blau bedeutet, alles in Ordnung, wir

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