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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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Schmarotzer wollen alles einreißen – alles abfackeln, stehlen, morden und die ganze Welt in Flammen setzen.
    Ich bin bisher nur einmal einer Gruppe Schmarotzer begegnet, aber ich habe immer noch Albträume deswegen.
    »Das schaffen sie nie«, sage ich und versuche zuversichtlich zu klingen. »Dafür sind sie nicht organisiert genug.«
    Raven zuckt die Achseln. »Hoffentlich nicht.« Sie stapelt Bücher aufeinander, so dass die Kanten alle genau gleich ausgerichtet sind. Einen Augenblick tut sie mir leid, wie sie da inmitten von so viel Chaos steht und Bücher stapelt, als könnte das helfen.
    »Kann ich irgendwas tun?«
    »Keine Sorge.« Raven lächelt mich verkniffen an. »Ich kümmere mich schon darum.«
    Das ist noch einer von Ravens Sprüchen. Genau, wie sie darauf besteht, dass die Vergangenheit vorbei ist, ist auch das zu einer Art Maxime geworden. Ich kümmere mich – ihr macht, was ich sage. Wir brauchen vermutlich alle solche Maximen – Geschichten, die wir uns vorsagen, um weitermachen zu können.
    »Okay.« Einen Moment stehen wir einfach nur da. Es ist seltsam. Auf gewisse Weise fühlt sich Raven schon an wie ein Familienmitglied – sie ist immerhin diejenige, die mir am nächsten steht –, aber manchmal kommt mir der Gedanke, dass ich sie kein bisschen besser kenne als im August, als sie mich gefunden hat. Ich weiß immer noch nicht viel über die Person, die sie war, bevor sie in die Wildnis gekommen ist. Diesen Teil von ihr hat sie verschlossen, an einem abgelegenen, unerreichbaren Ort verstaut.
    »Los«, sagt sie und zeigt mit dem Kopf zur Treppe. »Es ist schon spät. Du solltest was essen.«
    Auf dem Weg die Treppe hinauf streiche ich mit den Fingern einmal über das metallene Nummernschild, das wir an die Wand genagelt haben. Wir haben es während unseres Umzugs in der Wildnis gefunden, halb vergraben im Schlamm und Schneematsch. Zu jenem Zeitpunkt waren wir alle dem Tod nahe, erschöpft und hungrig, krank und durchgefroren. Bram hat es gefunden. Und als er es vom Boden aufhob, brach die Sonne durch die Wolkendecke und das Metall glühte plötzlich weiß auf und blendete mich beinahe, so dass ich die Worte unter der Autonummer kaum lesen konnte.
    Alte Worte. Worte, die mich fast in die Knie zwangen.
    Frei sein oder tot.
    Vier Wörter. Fünfzehn Buchstaben. Beulen, Erhebungen, Windungen unter meinen Fingerspitzen.
    Noch eine Geschichte. Wir halten uns daran fest. Und unser Glaube lässt sie wahr werden.

damals
    E
s wird von Tag zu Tag kälter. Morgens ist das Gras weiß vom Raureif. Die Luft brennt mir beim Laufen in der Lunge; die Ränder des Flusses sind von dünnem Eis überzogen, das um unsere Knöchel herum zerbricht, wenn wir mit den Eimern ins Wasser waten. Die Sonne ist träge und verkriecht sich nach ihrer schwachen, verwässerten Reise über den Himmel immer früher hinter dem Horizont.
    Ich werde kräftiger. Ich bin ein Stein, der vom Wasser glatt geschliffen wird. Ich bin Holz, das von einem Feuer zu Kohle wird. Meine Muskeln sind Taue, meine Beine wie Stämme. Meine Handflächen sind von Hornhaut überzogen – meine Fußsohlen ebenfalls, dick und stumpf. Ich lasse keinen dieser Läufe aus. Ich gehe freiwillig jeden Tag Wasser holen, obwohl wir uns eigentlich abwechseln sollen. Bald kann ich, ohne auszuruhen oder anzuhalten, ganz allein zwei Eimer Wasser zurück zum Lager tragen.
    Alex geht neben mir, taucht immer wieder aus den Schatten auf, schlängelt sich zwischen den purpurroten und gelben Bäumen hindurch. Im Sommer war er deutlicher: Ich konnte seine Augen aufblitzen sehen, seine Haare, seinen Ellbogen. Als die Blätter anfangen, zu Boden zu segeln, und immer mehr Bäume kahl werden, ist er nichts weiter als ein schwarzer Schatten in meinen Augenwinkeln.
    Ich lerne auch viel. Hunter zeigt mir, wie wir Nachrichten erhalten, wenn die Sympathisanten auf der anderen Seite uns eine Lieferung ankündigen.
    »Komm mit«, sagt er eines Morgens nach dem Frühstück zu mir. Blue und ich schrubben in der Küche das Geschirr. Blue hat sich mir nie wirklich geöffnet. Sie beantwortet meine Fragen mit einem Nicken oder Kopfschütteln. Ihre kleine Gestalt, ihre Schüchternheit, ihre dünnen Knochen: Immer wenn ich mit Blue zusammen bin, muss ich an Grace denken.
    Deshalb gehe ich ihr so weit wie möglich aus dem Weg.
    »Wohin soll ich mitkommen?«, frage ich Hunter.
    Er grinst. »Kannst du gut klettern?«
    Die Frage überrascht mich. »Geht so«, sage ich und muss plötzlich daran

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