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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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gekennzeichnet, indem sie Bäume mit einem System aus Rillen und Schnitten markiert haben.
    Nächste Woche werden verschiedene Gruppen – Kundschafter – auf eine Vorbereitungstour gehen. Sechs Leute werden bis zu unserem nächsten großen Lager hundertdreißig Kilometer südlich wandern und auch Vorräte dort hinbringen. Wenn sie das Lager erreichen, werden sie die Hälfte der Lebensmittel vergraben, damit die Tiere sie nicht fressen, und das Versteck mit Steinen markieren. Zwei von ihnen werden zu unserem Stützpunkt zurückkehren, die anderen vier werden weitere hundert Kilometer gehen und dort wiederum die Hälfte der übrigen Vorräte vergraben. Zwei von ihnen werden dann ebenfalls zum Stützpunkt zurückkehren.
    Der fünfte Kundschafter wird dort warten, während der sechste, ausgestattet mit der letzten Ration Lebensmittel, noch mal siebzig Kilometer dranhängt. Anschließend werden sie zusammen zum Stützpunkt zurückkehren und auf dem Weg alles an Essbarem mitbringen, was sie in Fallen fangen oder sonst wie kriegen können. Bis dahin haben wir alles vorbereitet und fertig gepackt.
    Als ich Raven frage, warum die Lager Richtung Süden immer näher beieinanderliegen, hebt sie kaum den Blick von ihrer Arbeit.
    »Das wirst du schon sehen«, entgegnet sie brüsk. Ihre Haare sind zu Dutzenden kleinen Zöpfen geflochten – das ist Blues Werk – und sie hat goldene Blätter und getrocknete rote Beeren des giftigen Christophskrauts an ihren Enden befestigt.
    »Wäre es nicht besser, die Lager so weit wie möglich auseinanderzuziehen?«, hake ich nach. Sogar das dritte Lager liegt noch etwa hundertsechzig Kilometer von unserem endgültigen Ziel entfernt, auch wenn wir auf unserem Weg nach Süden auf andere Stützpunkte treffen werden, bessere Möglichkeiten haben, Fallen aufzustellen, und die Leute dort uns Essen und Unterkunft gewähren werden.
    Raven seufzt. »Wir werden dann zu schwach sein«, sagt sie und richtet sich schließlich auf, um mich anzusehen. »Uns wird kalt sein. Wir werden Hunger haben. Wahrscheinlich schneit es. Die Wildnis saugt einem das Leben aus, kann ich dir sagen. Das ist nicht wie einer deiner kleinen Morgenläufe. Du kannst nicht einfach immer weiter. Ich habe …« Sie bricht ab und schüttelt den Kopf, als wollte sie eine Erinnerung vertreiben. »Wir müssen sehr vorsichtig sein«, schließt sie.
    Ich bin so beleidigt, dass ich nichts erwidern kann. Raven hat meine Läufe »klein« genannt, als wären sie eine Art Spiel. Aber ich habe einen Teil von mir da draußen gelassen – Haut, Blut, Schweiß und Erbrochenes –, einen Teil von Lena Haloway, Schicht um Schicht abgeblättert und in der Dunkelheit verstreut.
    Raven spürt, dass sie mich verärgert hat. »Hilfst du mir hier, bitte?«, fragt sie. Sie bereitet kleine Notfallbeutel vor, einen für jeden Siedler, mit Ibuprofen, Pflastern, Desinfektionstüchern. Sie legt die Vorräte auf Stoffquadrate, die sie aus alten Leintüchern geschnitten hat, dann dreht sie sie zu Bündeln und bindet sie mit Draht zu. »Meine Finger sind so dick, dass ich mich ständig verheddere.«
    Das stimmt nicht: Ravens Finger sind dünn wie alles an ihr und ich weiß, sie versucht nur, nett zu mir zu sein. Aber ich sage: »Ja, klar.« Raven bittet selten um Hilfe; wenn sie es tut, hilft man ihr.
    Die Kundschafter werden erschöpft sein. Selbst wenn sie bis oben hin mit Lebensmitteln beladen sind, sind die zum Einlagern gedacht, nicht zum Essen, und für sich selbst haben sie nur ein winziges bisschen dabei. Der letzte Kundschafter, der, der die ganzen dreihundert Kilometer hin- und wieder zurückgeht, muss der Kräftigste sein. Ohne dass das diskutiert oder besprochen werden müsste, wissen alle, dass dies Tack sein wird.
    Eines Abends bringe ich den Mut auf, ihn anzusprechen. Er ist ungewöhnlich guter Laune. Bram hat heute drei Kaninchen aus den Fallen mitgebracht und ausnahmsweise haben wir uns alle richtig satt gegessen.
    Nach dem Abendessen sitzt Tack am Feuer und dreht sich eine Zigarette. Er sieht nicht auf, als ich mich ihm nähere.
    »Was ist?«, fragt er kurz angebunden wie immer, aber seine Stimme hat nicht ihren üblichen scharfen Unterton.
    Ich hole tief Luft und platze heraus: »Ich will auch Kundschafterin sein.« Ich habe mich die ganze Woche über damit gequält, was ich Tack sagen soll – habe in Gedanken ganze Reden verfasst –, aber im letzten Moment kriege ich nicht mehr heraus als diese fünf Wörter.
    »Nein«, sagt Tack

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