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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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können mit einer Lieferung rechnen. Gelb, es gibt ein Problem oder eine Verzögerung.«
    »Vermischen sich denn die ganzen Farben nicht?«, frage ich.
    Hunter dreht sich mit leuchtenden Augen zu mir um. »Das ist das Geniale daran«, sagt er und macht eine Kopfbewegung hin zu den Nestern. »Die Vögel mögen die Farbe nicht, weil sie Raubtiere anlockt. Deshalb bringen sie ständig ihre Nester in Ordnung, so dass die jeden Tag wieder wie eine leere Palette aussehen.«
    Und wirklich, sogar jetzt, während ich zusehe, sucht der Vogel im nächstgelegenen Nest die blau gefärbten Zweige raus und zupft sie mit dem Schnabel aus dem Nest: stutzt, schneidet, säubert, wie eine Frau, die im Garten Unkraut jätet. Das Nest verändert sich vor meinen Augen, wird wieder eintönig braun, normal.
    »Unglaublich«, sage ich.
    »So ist die Natur.« Hunter wird ernst. »Vögel fressen; sie nisten. Färbe sie, wie du willst, schick sie einmal um die halbe Welt, aber sie werden immer einen Weg zurück finden. Und schließlich erscheinen sie wieder in ihrer ursprünglichen Farbe. So sind Tiere einfach.«
    Während er das sagt, muss ich plötzlich an die Razzia letzten Sommer denken. Als die Aufseher in ihren steifen Uniformen eine illegale Party stürmten, Baseballschläger und Polizeiknüppel schwangen und die massigen Doggen, die wild um sich schnappten und Schaum vor dem Maul hatten, auf die Menge hetzten. Ich muss an den schwungvollen Bogen aus Blut an einer Wand denken, an das Geräusch von Schädeln, die unter schweren Holzschlägern knackten. Unter ihren Abzeichen und ihren ausdruckslosen Blicken sind die Geheilten voller Hass, kalt und unheimlich. Sie sind ohne Leidenschaften, aber haben auch kein Mitgefühl.
    Auch sie sind Tiere unter ihren Farben. Dort hätte ich nicht bleiben können; ich werde nie zurückkehren. Ich werde niemals eine der wandelnden Toten sein.
    Erst als wir wieder vom Baum geklettert und auf dem Rückweg zum Stützpunkt sind, fällt mir etwas ein, was Hunter noch gesagt hat.
    »Was bedeutet Rot?«, frage ich.
    Er sieht mich erschrocken an. Wir haben eine Weile geschwiegen, waren beide in Gedanken versunken. »Was?«
    »Blau bedeutet neue Vorräte. Gelb heißt, es gab eine Verzögerung. Und was bedeutet Rot?«
    Einen Augenblick sehe ich, wie Angst in Hunters Augen aufblitzt, und plötzlich ist mir wieder kalt.
    »Rot bedeutet: Rennt um euer Leben!«, sagt er.
    Bald wird es ernst mit dem Umzug. Alle werden nach Süden gehen, der gesamte Stützpunkt. Es ist eine Riesenaktion und Raven und Tack verbringen Stunden damit, zu planen, zu diskutieren, sich zu streiten. Es ist nicht das erste Mal, dass die beiden einen Umzug organisieren, aber anscheinend waren die bisherigen Umsiedlungen hart und schwierig und Raven hält sie beide für gescheitert.
    Doch den Winter im Norden zu verbringen hat sich als noch härter erwiesen, und deshalb werden wir weggehen. Raven besteht darauf, dass es diesmal keine Todesfälle geben wird. Alle, die den Stützpunkt verlassen, werden das Ziel sicher erreichen.
    »Das kannst du nicht garantieren«, höre ich Tack eines Abends zu ihr sagen. Es ist schon spät und ich bin von den Würgegeräuschen aus dem Krankenzimmer aufgewacht. Diesmal ist es Lu.
    Ich bin aus dem Bett geschlüpft und gerade auf dem Weg in die Küche, um mir einen Schluck Wasser zu holen, als ich bemerke, dass Tack und Raven immer noch dort sind, beleuchtet nur von der schwachen, schwelenden Glut des Feuers. Die Küche ist düster, von Rauch angefüllt.
    Ich bleibe im Flur stehen.
    »Alle bleiben am Leben«, sagt Raven stur und ihre Stimme zittert ein wenig.
    Tack seufzt. Er klingt müde – und noch irgendwie anders. Freundlich. Besorgt. Ich habe Tack eigentlich immer eher mit einem Hund verglichen: bissig und knurrend. Ganz ohne Sanftheit.
    »Du kannst nicht alle retten, Rae«, sagt er.
    »Ich kann es zumindest versuchen«, erwidert sie.
    Ich gehe ohne Wasser zurück in mein Zimmer und ziehe mir die Decke bis unters Kinn. Die Luft ist voller Schatten, flackernder Umrisse, die ich nicht zuordnen kann.
    Außerhalb des Stützpunkts gibt es zwei Hauptprobleme: Lebensmittel und Unterkunft. Es gibt noch andere Lager, andere Invalidengruppen weiter südlich, aber die Siedlungen sind spärlich gesät und dazwischen liegen große Flächen weiten Landes. Die nördliche Wildnis ist im Herbst und Winter erbarmungslos: hart, öde und karg, voller hungriger Tiere.
    Über die Jahre hinweg haben reisende Invaliden eine Route

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