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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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Hause gegangen. Ich habe sie einfach genommen und bin losgerannt. Es war klar, dass ich sie in Yarmouth nicht behalten konnte. Solche Geheimnisse lassen sich nicht lange bewahren. Es war schon schwierig genug, immer die blauen Flecken zu verbergen. Außerdem musste sie ja illegal sein – von irgendeinem Mädchen ohne Partner. Ein Deliria-Baby. Du weißt doch: DeliriaBabys sind verseucht. Sie werden verwirrt, verkrüppelt, verrückt. Vermutlich hätte man sie abgeholt und getötet. Sie hätte noch nicht mal beerdigt werden dürfen aus Sorge davor, dass sich die Krankheit ausbreiten könnte. Sie wäre verbrannt und auf den Müll geworfen worden.« Raven nimmt noch einen Zweig und legt ihn ins Feuer. Er flammt kurz auf, eine heiße, weiße Feuerzunge. »Ich hatte Gerüchte über einen Abschnitt des Zauns gehört, der angeblich unbefestigt war. Wir erzählten uns immer Geschichten über die Invaliden, die ein und aus gingen und die Gehirne der Menschen aßen. Einfach der Blödsinn, den man als Kind so erzählt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich noch daran glaubte oder nicht. Aber ich ließ es darauf ankommen, was den Zaun betraf. Es dauerte ewig, bis ich eine Möglichkeit fand, mit Blue hinüberzuklettern. Immerhin ein Gutes hatte der Regen: Die Wachen und Aufseher blieben drin. Ich kam ohne Probleme rüber. Ich wusste nicht, wo ich hinsollte oder was ich tun würde. Ich hatte mich nicht von meinen Eltern verabschiedet. Ich war einfach weggelaufen.« Sie wirft mir einen Seitenblick zu. »Aber ich schätze, das genügte. Und ich schätze, du weißt, wie das ist.«
    »Ja«, krächze ich. In meiner Kehle ist ein reißender Schmerz. Jeden Moment könnte ich anfangen zu weinen. Stattdessen bohre ich meine Fingernägel, so fest ich kann, in meine Schenkel und versuche meine Haut unter dem Jeansstoff zu durchstechen.
    Blue murmelt etwas Unverständliches und wälzt sich im Schlaf hin und her. Das Keuchen ist schlimmer geworden. Jeder Atemzug bringt ein schrecklich schabendes Geräusch und ein Gurgeln hervor. Raven beugt sich über sie und streicht ihr die schweißnassen Haarsträhnen aus der Stirn. »Sie glüht«, sagt Raven.
    »Ich hole ein bisschen Wasser.« Ich will unbedingt etwas tun, irgendetwas, um zu helfen.
    »Es bringt nichts«, sagt Raven leise.
    Aber ich muss mich bewegen, deshalb gehe ich trotzdem. Ich bahne mir einen Weg durch die eisige Dunkelheit zum Fluss, der von einer Schicht aus dünnem Eis bedeckt ist, von Rissen und Spalten überzogen. Der Vollmond steht hoch am Himmel und wirft sein silbriges Licht auf die Oberfläche. Ich durchschlage das Eis mit dem Boden eines Blecheimers und keuche, als das kalte Wasser über meine Finger läuft.
    Raven und ich schlafen nicht wieder ein. Wir wechseln uns damit ab, Blues Stirn mit einem Handtuch zu kühlen, bis das Keuchen nachlässt. Schließlich hört sie auf zu zucken und liegt ruhig und sanft da. So machen wir weiter, bis der Morgen dämmert, sich der Himmel bleich rötet, obwohl Blue zu diesem Zeitpunkt schon seit Stunden keinen Atemzug mehr getan hat.

jetzt
    J
ulian und ich bewegen uns durch erdrückende Dunkelheit. Wir gehen langsam, vorsichtig, obwohl wir beide lieber rennen würden. Aber wir dürfen nicht riskieren, ein Geräusch zu machen oder die Taschenlampe anzuknipsen. Obwohl wir uns in einem offenbar weitverzweigten Tunnelnetz befinden, fühle ich mich wie eine Ratte im Käfig. Ich bin etwas wacklig auf den Beinen. Die Dunkelheit ist voller wirbelnder, quirlender Formen und ich muss die linke Hand an die feuchte Tunnelwand legen, über die Insekten huschen.
    Und Ratten. Ratten quieken in den Ecken; Ratten flitzen über den Weg und ihre Krallen machen tick, tick, tick auf dem Steinboden.
    Ich weiß nicht, wie lange wir so unterwegs sind. Unmöglich zu sagen, ob wir Richtung Osten oder Westen gehen oder uns endlos im Kreis drehen. Manchmal bewegen wir uns an alten Gleisen entlang. Trotz meiner Erschöpfung und Nervosität bin ich fasziniert von der Vorstellung all dieser sich windenden, labyrinthischen Gänge, die von rasenden Maschinen erfüllt sind und von Leuten, die ungehindert durch die Dunkelheit donnern.
    Dann wieder stehen die Tunnel unter Wasser – manchmal ist es nur ein winziges Rinnsal, manchmal ein knapper Meter faulig stinkender Flüssigkeit voller Müll, die sich vermutlich von einem der Abwasserkanäle her zurückstaut. Das heißt, wir können nicht allzu weit von der Stadt entfernt sein.
    Ich stolpere immer häufiger. Seit Tagen habe

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