Panic
am Hang dunkle, ausladende Geweihstangen Schnee abschüttelten. Der Hirsch versammelte seine Läufe unter sich, wobei seine Keulen- und Schultermuskeln zuckten wie überdrehte Sprungfedern.
Ich brachte ein Knie zu Boden, das Lösen der Sicherung und das Anlegen waren eine Bewegung. Das Tier sprang im selben Moment, als ich das Fadenkreuz in Position gebracht hatte.
Und an der Stelle, wo eben noch der Hirsch gestanden hatte, waren nur noch Bäume und aufgewirbelter Schnee. Ich hatte zwar Fell im Visier gehabt, aber nicht das Blatt, und nur ein Blattschuss brachte dem Tier den sofortigen Tod. Das war ich ihm schuldig. Ich sicherte das Gewehr wieder, war unfähig, aufzustehen; das war einer der größten Hirsche, die ich je gesehen hatte. Als ich mich wieder gefangen hatte, beschloss ich, die Verfolgung aufzunehmen. Allerdings war das Tier jetzt gewarnt und würde rennen, was das Zeug hielt; heute würde ich es wohl kaum noch einmal vor die Flinte bekommen.
Tatsächlich war er mit sechs Meter weiten Sätzen aus dem dunklen Dickicht geprescht. Einmal war er stehen geblieben, als er den offenen Hochwald erreichte, hatte nach hinten gesichert und war danach fast gemächlich in südlicher Richtung weitergetrabt. Ich lief ihm fast eine Stunde lang hinterher, wobei ich mich bemühte, mir seinen Rhythmus anzueignen. Die beste Gelegenheit hatte ich verschenkt. Doch wenn ich ihn weiter bedrängte, würde ich vielleicht lernen, wie er reagierte, wie er sich verhielt. Womöglich machte er einen Fehler.
Der Hirsch änderte noch zweimal die Richtung, wobei er einmal einen Kreis beschrieb und direkt in meinen Stiefelspuren landete. Um zwei Uhr hörte ich weitere Schüsse in der Ferne. Um halb drei erkannte ich allmählich eine Systematik in den Bewegungen meines Hirsches: Er schwenkte nur vom geraden Weg ab, wenn er die Gelegenheit hatte, höher zu steigen, fast so, als wollte er mich von oben belauern. Einmal fand ich sogar die Stelle, wo er sich hinter einen liegenden Baumstamm geduckt hatte, den Kopf samt Geweih in einem Zweig versteckt. Ich lachte über seinen Wagemut: Er musste mich belauert haben, als ich an ihm vorbeilief, keine fünfzig Meter von mir entfernt.
Um Viertel nach drei gab ich es auf, würde tags darauf die Verfolgung wieder aufnehmen. Immerhin hatte ich noch neun Tage und war schon so nah dran. Ich hatte keine Eile.
Der Karte entnahm ich, dass ich etwa vier Kilometer vom Treffpunkt entfernt war. Gemächlich schlenderte ich im Zickzackmuster über das ebene Gelände, links von mir das schwache Rauschen des Flusses. Ein inneres Strahlen erfüllte mich. Mein Tanz mit dem Hirsch hatte meine Gedanken an daheim – an Patrick, Emily und Kevin – nach und nach ausgelöscht, bis sie nur noch Schatten waren, die mich verfolgten.
Stattdessen versuchte ich, mich ganz auf den Wald zu konzentrieren, wieder Little Crow zu sein, als wäre diese Art der Selbstbeschränkung meine Therapie. Der Schneefall war stärker geworden. Der Wind ebenfalls. Das Zinngrau der Stämme war eine Schattierung dunkler geworden, als das Tageslicht allmählich der Dämmerung wich. Als ich die gelbe Markierung und meine eigenen fast zugeschneiten Stiefelspuren von heute Morgen erreichte, schulterte ich das Gewehr und schlenderte auf dem Weg weiter. Der frisch gefallene Schnee hatte die Zweige noch tiefer nach unten gedrückt, sodass fast der Eindruck einer Röhre entstand. Im Innern erschwerte das graue Licht mir die Sicht. Ich ging langsamer, nicht sicher, wohin ich die Füße setzte. Ich bückte mich unter einer jungen Kiefer durch, die sich fast bis zum Boden neigte, und streifte mit der Schulter einen Ast. Da schnellte der Baum nach oben und rieselte Schnee auf mich herab. Ich stolperte ein paar Schritte nach vorn, wischte mir die Flocken aus dem Gesicht und blieb jäh stehen.
Weich gezeichnet von einer dünnen Schicht Pulverschnee, kreuzten Stiefelabdrücke den Weg. Ich ging in die Knie, um sie mir anzusehen. Sie waren viel größer als die meinen. Patterson? Ich versuchte, mich an seine Schuhgröße zu erinnern. Der Jagdführer war mittelgroß. Die Stiefel, die diese Spuren hinterlassen hatten, hatten mindestens Schuhgröße fünfundvierzig, unverhältnismäßig groß für einen Mann von eins fünfundsiebzig. Aber standen Körpergröße und Schuhgröße überhaupt im Verhältnis zueinander? Diese Spuren konnten durchaus von Patterson stammen. Oder war einer der anderen Jäger so weit nach Osten vorgedrungen?
Ich wollte gerade
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