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Panic

Panic

Titel: Panic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark T. Sullivan
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weitergehen, als ich unter den Stiefelspuren verschneite Wildspuren entdeckte. Große Schalen. Von einem Hirschbock. Und dazu, kaum sichtbar im fahlen Licht, ein dunkler Fleck im Schnee. Ich wischte den Neuschnee beiseite und fand Blut. Ich unterzog es einer genaueren Inspektion. Es war dunkel. Ein Leberschuss. Der sichere Tod. Trotzdem konnte ein getroffenes Tier noch weit laufen, bevor es verendete.
    Zehn Minuten vor vier. Vierzig Minuten vor Einbruch der Dunkelheit. Ich beschloss, der Spur zu folgen, vielleicht stieß ich ja auf den verwundeten Hirsch. Mein Vater und Mitchell hatten mir eingeschärft, dass man als Jäger ein Tier unter keinen Umständen verwundet im Wald liegen lassen dürfe. Es wäre nicht nur unethisch, es wäre ein Sakrileg. Der Hirsch hatte schließlich sein Leben geopfert. Wer einen Hirsch verrotten ließ, der jagte in Zukunft vergebens.
    Also bahnte ich mir einen Weg durch dicht stehende Pappeln, fand noch mehr Blut und noch mehr Spuren. Ich stieg in östlicher Richtung, dem Dream zu, eine Anhöhe hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter, in eine breite Schlucht. Unter dem Schnee befand sich ein Bachbett, und ich überquerte es vorsichtig, weil eisige Felsbrocken darin lagen.
    Auf der anderen Seite schwenkte die Fährte nach Süden, führte hundert Meter auf den See zu und dann wieder nach Osten, wo sich ein weiterer Hügel erhob. Der war steil. Und tief verschneit. Ich stapfte hinauf, nahm die Hände zu Hilfe, um nach exponierten Wurzeln zu greifen, nutzte sie als Leiter und arbeitete mich Zoll für Zoll nach oben. Ich sah noch mehr Blut an der Stelle, wo der Hirsch zusammengebrochen war.
    Ich stand am Rand einer Lichtung, hohe Lärchen umstanden sie wie Wachsoldaten. Im ersten Drittel der flachen Mulde war der Schnee unberührt. Das nachfolgende Drittel war von Blut befleckt, und Dampf stieg auf von einem Innereienhaufen weiter oben, obwohl der fallende Schnee die Überreste rasch abkühlen ließ. Bald kämen die Aasfresser. Noch ein paar Zentimeter Schnee, und das Blutrot würde rosenfarben, dann pink und schließlich wieder weiß werden. Gereinigt.
    Eine Spur zeigte an, wo der Jäger den ausgeweideten Hirsch aus der Mulde geschleift hatte. Wenn ich mich beeilte, konnte ich ihm noch helfen.
    Während ich lief, stellte ich verwundert fest, dass sich zwar vereinzelte Hirschhaare in der Schleifspur fanden, aber nur wenig Blut. Egal, im seichten Schnee unter den dicken Nadelbäumen war leicht voranzukommen. Hügelabwärts wurde es noch leichter. Hier im Unterholz war nichts davon zu spüren, dass draußen ein heftiger Sturm tobte. Hier erschien einem alles in schönster Ordnung.
    Das schwindende Tageslicht um mich herum beruhigte die Stimmen des Waldes, bis alles schwieg, in Totenstille versank. Ich lief noch schneller, glitt mit jedem Schritt weiter den Abhang hinunter. Ich weiß noch, wie ich dachte, dass ich unschlagbar sei, wenn ich dieses Gefühl hatte.
    Nach einer Weile erreichte ich ein Gebiet, in dem ein Feuer den Baumbestand ausgedünnt hatte. Rußgeschwärzte Stümpfe ragten aus dem Schnee. An den noch stehenden Bäumen sah man bis zu einer Höhe von zehn Metern nicht einen Ast, nichts als verkohlte Triebe. Weit draußen in der verdorrten Landschaft schwang sich eine Schneeeule von einem der Stümpfe, ein rotes Eichhörnchen in den Krallen. Der Raubvogel durchpflügte mit kraftvollen Flügelschlägen die Luft, tauchte zwischen die Baumleichen, verschmolz mit jedem Schwingenschlag mehr mit der wirbelnden Weiße, bis sein Körper nicht mehr davon zu unterscheiden war. Eine Weile sah man noch das Eichhörnchen als dunklen Fleck über den Himmel schweben. Dann nichts mehr.
    Die Schleifspur zog sich um den Rand des Brandgebiets und bog dann wieder in den Hochwald ein. Nachdem ich ihr etwa zweihundertfünfzig Meter gefolgt war, sah ich weiter unten eine Lichtung, den Holzlagerplatz und mitten darin den orangefarbenen Motorschlitten. Ich spähte hinunter, hielt Ausschau nach Patterson. Keine Bewegung. Kein Laut.
    Ich folgte der Spur weitere dreißig Meter zwischen dicken Stämmen hindurch, als sie abrupt endete, nicht mehr weiterführte. Keine Tritte, keine Mulde, kein gar nichts.
    Es war stürmisch hier oben, weil der Wind durch eine Art Trichter kanalisiert wurde und unverhältnismäßig starke Böen bildete. Minizyklonen wirbelten den Schnee auf, erstarben, lebten auf, wirbelten weiter. Ich sah mich um. Am Fuß des Hügels, rechts von mir, sah ich deutlich den Schlitten. Aber

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