Panic
keine Fußspuren führten darauf zu. Ich zog einen weiten Bogen um die letzten Spuren. Nichts. Und inzwischen hatte der Wind so viel Schnee hereingeweht, dass meine eigenen Tritte von vorhin fast schon wieder ausgelöscht waren.
Ich wollte gerade zum Gefährt absteigen, als ich aus dem Augenwinkel einen frischen Blutfleck bemerkte. Ich ging in die Hocke. Noch ein Blutfleck tauchte auf, kreisrund zunächst, dann roten, knorrigen Fingern weichend, als die glatte Kontur im ädrigen Schnee verlief.
Etwas Schweres platschte mir auf die Schirmmütze. Ein dritter Fleck erschien im Schnee. Verwundert sah ich nach oben; da ging ein Ruck durch mich hindurch, dessen Stoßwelle mich rücklings in den Schnee schleuderte.
Scheinwerfer durchschnitten das Dunkel. Der Motorschlitten schlingerte, geriet außer Kontrolle. Ich streifte einen Baum, bevor ich das Fahrzeug wieder in der Spur hatte. Ich stemmte den Fuß aufs Gas, benutzte das Aufheulen des Dieselmotors wie meine Tochter Emily ihre Schmusedecke, als Puffer gegen die Schrecken der Dunkelheit.
Wo war Griff
? Hier musste irgendwo die Stelle sein, wo wir ihn am Morgen abgesetzt hatten.
Wo war er
?!
Ein Hirschkalb stand plötzlich im Weg, starrte gebannt in die Scheinwerfer. Ich stieg auf die Bremse, nahm an, es würde davonrennen. Stattdessen blinzelte das Tier mich liebevoll an. Einen Moment lang kam es mir vor, als hätte es auf mich gewartet. Druck baute sich hinter meinen Augen auf. Mir drehte sich der Magen um. Ich taumelte vom Fahrersitz hinaus in den Schnee und erbrach.
Ich kroch aus dem Scheinwerferlicht, außerstande, den entsetzlichen Anblick oben auf dem Hügel über dem Holzlagerplatz abzuschütteln. Ich hatte ein paar Minuten im Schnee gelegen, ohne nach oben zu schauen. Ich hatte die Realität leugnen wollen, hatte mich fest an die Vorstellung klammern wollen, im Wald herrsche Ordnung, nicht diese grausame Willkür. Doch dann hatte das Unwirkliche den Nebel durchschnitten: Pattersons kalte blaue Augen, die auf mir ruhten, ohne mich zu sehen. Seine Miene, trotz der blutverkrusteten Barthaare, wirkte belustigt und fassungslos zugleich. Der junge Jagdführer hing, skalpiert und ausgeweidet, wie ein erlegter Hirsch vom Baum.
Ich hatte das Bedürfnis, ihn herunterzuholen, als könnte ich durch diese Geste das Geschehene irgendwie erträglich machen. Mechanisch war ich um den Baum herumgegangen, hatte mit der Taschenlampe die Stelle gesucht, wo die gelbe Nylonschnur an den Baum geknotet war, und schließlich einen niedrigen Ast auf der Rückseite des Stamms gefunden. Der Knoten hatte sich gelöst, und Pattersons Last war in meine Arme gesackt. Da hatte sich mir das ganze Ausmaß des Grauens eröffnet, und ich hörte mich laut aufstöhnen.
Patterson kam auf die Seite zu liegen. Vom Gürtel aufwärts war er nackt, trug keine Stiefel. Die Wunde auf dem Kopf war roh und blutete. Ein Stock, zwischen beide Seiten des Brustkastens gespreizt, hielt diesen offen. Die Schwanzfeder eines roten Falken steckte zwischen den oberen Schneidezähnen. So viel Schmerz, Einsamkeit und Hass hatte ich seit dem Tod meiner Mutter nicht mehr gespürt. Ich hatte die Feder herausgerissen, sie in den Schnee geworfen, danach getreten, ich musste daran denken, wie Patterson mir am Morgen von seinem Baby erzählt hatte, und trat noch einmal zu. Ich rief mir Emily und Patrick vor Augen. Ihr Bild wollte ich festhalten, bis das alles – der Tote, das Blut, das gehäutete Fleisch – verschwunden wäre.
Dann verließ mich der Schock, unter dessen Einfluss ich Patterson vom Baum geholt hatte. Panik erfasste mich. Ich hatte mich taumelnd von der Leiche entfernt, mir das Gewehr geschnappt und war den Hügel hinuntergestolpert, auf den Motorschlitten zu.
Das Hirschkalb war weg, als ich mich aufrappelte. Ich legte den Gang ein; wenn ich erst Griff oder das Camp erreicht hätte, würde ich es auch nach Hause zu meinen Kindern schaffen, sagte ich mir. Dort würde ich die Vergangenheit dann endgültig begraben.
Etwa vierhundert Meter weiter vorn trat Griff aus der Dunkelheit. Er hielt die Mütze in der Hand. Sein dichtes weißes Haar war schweißverklebt. Er blinzelte in die Scheinwerfer und schwenkte die Mütze. Ich hielt an, sprang aus der Kabine und lief schluchzend auf ihn zu. »O Gott. O Gott, Griff, sie haben ihn aufgehängt, an einem Baum …«
Zitternd stürzte ich in seine Arme. Er schob mich von sich. »Wer wurde gehängt? Welcher Baum?«
»Patterson. Er ist tot …«
Mir schnürte
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