Panic

mit mir Schluss gemacht hat. Das Leben verschenkt seine Seelenverwandten in den seltensten Fällen schon beim ersten Mal. Meistens kriegen wir kleine Jungs ab, die sich aufspielen und so tun, als würden sie die ganze Welt begreifen, dabei sind sie nur Stümper und völlig außerstande, über ihre Penisspitze hinauszuschauen.«
    Sie sagte es mit so viel Nachsicht, dass ich unwillkürlich lachen musste.
    Sie strich mir sanft übers Gesicht. »Jeder Stümper rubbelt dich ein bisschen zurecht, bis endlich dein wahres Ich zum Vorschein kommt. Wenn das Leben meint, jetzt hättest du genug Enttäuschungen erlebt, wird dein Seelenverwandter auftauchen, und du wirst ihn sofort erkennen.«
    »Hast du’s auch gewusst, als du Vater begegnet bist?«
    »Schon vorher«, erwiderte sie. »Ich kandidierte für eine zweite Amtszeit und musste auf einer Gartenparty, die ein alter Freund meines Vaters arrangiert hatte, eine Rede halten. Jenseits der Menge schlenderte dein Vater durch den Rittersporn. Er war der schönste Mann, den ich je gesehen hatte. Doch es war die Art und Weise, wie er ins Leere starrte, die meine Aufmerksamkeit erregte. Aus irgendeinem Grund war es mir wichtig, dass er mir zuhörte. Also redete ich nur noch für ihn, aber er sah nie in meine Richtung. Später ging ich auf ihn zu und fragte ihn, warum er mir nicht zugehört habe. Das hätte er wohl, sagte er. Überhaupt nicht, sagte ich, er habe in den Himmel gestarrt. Da verriet er mir, dass er Kolibris beobachtet habe, die in den Tulpenbäumen nach Nektar suchten. Die Melodie meiner Stimme habe ihren Flug untermalt.«
    Obwohl ich die Geschichte schon zigmal gehört hatte, fragte ich auch diesmal wieder: »Hast du dich da schon in ihn verliebt?«
    »Hättest du das nicht?« Und sie lachte, wie immer.
    Ich warf mich herum und schreckte kurz auf. Konnte es sein, dass ich jahrelang mit einem Mann zusammen gewesen war, der nie auf den Gedanken gekommen wäre, mir zu sagen, meine Stimme sei der melodische Kontrapunkt zum Schauspiel der Natur. Da begriff ich, dass uns das Leben vielleicht unterschiedliche Spezies von Seelenverwandten zur Seite stellt; Katherine war mit Sicherheit einer.
    Genau aus diesem Grund wurde mein fünfzehnter Winter auch so schwierig. Es war der Tag, an dem meine Mutter im Parlamentsgebäude in Augusta vereidigt wurde. Mein Vater und ich waren immer dabei, wenn sie den Eid ablegte. Es imponierte mir, wie sie sich zwischen all den männlichen Senatoren behauptete.
    Anschließend arrangierte sie immer eine Zusammenkunft in ihrem Büro. Katherine stand auf. Sie sprach über ihre jüngste Gesetzesvorlage.
    »Flüsse und Wälder in Maine sind die Seele des Landes«, fing sie an. »Viel zu lange haben wir die Tatsache ignoriert, dass durch die Chemikalien aus der Papiermühle und die Bemühungen, die Ufer unserer wildesten Flüsse zu erschließen, langsam die Seele aus unseren Gewässern gepresst wird. Das Gesetz, das wir vorantreiben wollen, soll sicherstellen, dass …« Sie verstummte. Ein verwirrter Ausdruck huschte über ihr Gesicht. Sie suchte im Saal nach meinem Vater, fand ihn und lächelte. »Das Gesetz, das wir vorantreiben wollen, wird sicherstellen, dass Maine und seine Bewohner …«
    Sie nahm einen dritten Anlauf. Als auch der fehlschlug, strich sie sich eine Strähne aus dem Gesicht, die ihr über die Augen gefallen war. »Bitte entschuldigen Sie mich, ja? Ich fühle mich nicht ganz wohl … die Aufregung … ich bin ein wenig erschöpft.«
    Erschöpft. Das Wort passte nicht zu ihr; sie gehörte zu den Menschen, die nachts nie mehr als vier Stunden Schlaf brauchten. Mein Vater bahnte sich einen Weg durch die Menge und half ihr von der Tribüne. Wir beide und ihr Chefassistent begleiteten sie ins Büro, wo sie sich auf die Couch legen konnte. Mein Vater stellte ihr Fragen, die sie allesamt zusammenhängend beantwortete. Fünfzehn Minuten später war sie wieder auf den Beinen. Sie ignorierte die Anweisungen meines Vaters, sich im Krankenhaus ein paar Untersuchungen zu unterziehen, und ging ihrer Arbeit nach. Doch aus meiner Sicht hatte sich vieles verändert; bis zu diesem Tag hatte ich meine Mutter immer als stilles Wasser angesehen, immun gegen unterschwellige Strömungen.
    Der zweite Anfall fand drei Monate später statt. Ich kam an einem Donnerstagnachmittag aus der Schule nach Hause. Die Legislative war in der Osterpause. Katherine saß an ihrer Werkbank, die mein Vater ihr gezimmert und zu Weihnachten geschenkt hatte, und bastelte