Panic
umsichtig durch das Dickicht jenseits des Biberteichs. Er hatte sich Kurants Schrotflinte geborgt, für den Fall, dass wir den Killer aus nächster Nähe stellen mussten. Obwohl keiner von uns es ausgesprochen hatte, war mir klar, dass keine Gefangenen mehr gemacht würden.
Wir gingen zu beiden Seiten der Spur und verfolgten sie in nördlicher Richtung. Der Killer war in weiten Sätzen von der Brandlichtung weg geflüchtet; seine Schuhspitzen hatten tiefe Mulden im Abdruck hinterlassen, und seine Knie zwischen den Tritten flache Kuhlen in den Schnee gegraben. Kaum zu glauben, dass er dieses Tempo fast einen Kilometer lang durchgehalten hatte, ehe er verschnauft, sich gegen einen Baum gelehnt und uriniert hatte. In den Zweigen über seiner Fährte fand ich Wolfshaare. Etwa fünfhundert Meter weiter entdeckte Nelson eine Stelle, wo er sich gebückt hatte. Ein Schlitz im Schnee kennzeichnete, wo er den Bogen abgestellt hatte.
Daneben war deutlich der Abdruck seiner bloßen Hand zu sehen. Der Anblick rief mir seltsamerweise auch ihn selbst vor Augen, wie er sich prüfend umsah, seinen Fluchtweg plante. Meine rechte Hand fing an zu kribbeln. Aus dem Kribbeln wurde ein beißender Schmerz, als würde der Schnee dem Fleisch die Wärme entziehen. Davon blieb nur noch ein schwaches Jucken, als der schmelzende Schnee mir übers taube Handgelenk zu laufen schien. Ich starrte auf meine Hand, traute meinen Sinnen nicht. Wäre mir so etwas ein paar Tage früher passiert – vor Patterson, Grover, Pawlett und jetzt auch noch Earl –, wäre es passiert, als ich einem Hirsch nachspürte, keinem Menschen, hätte ich triumphiert, weil es mir klar und deutlich bewiesen hätte, dass die Fähigkeiten, die ich mir in jungen Jahren erworben hatte, allmählich zurückkamen. Doch jetzt machte das Gefühl mir Angst.
»Alles in Ordnung? Sie sehen nicht sonderlich gut aus?«, sagte Nelson.
Ich sah ihn dumpf an und stammelte: »Ich-ich hab seit heute Morgen weder was gegessen noch getrunken.«
Er fischte ein Erdnussbutter-Sandwich und eine Wasserflasche aus dem Rucksack. Wir teilten uns beides. Er zündete sich eine Zigarette an.
»Kann’s einfach nicht lassen«, sagte er entschuldigend. »Nicht ganz der richtige Zeitpunkt zum Abgewöhnen.«
»Ich weiß«, platzte ich heraus. »Ich … ich kann ihn manchmal überall um mich herum spüren.«
Nelson sah mich zweifelnd an. »Wenn Sie’s sagen.«
Ich behielt die Sache in Zukunft wohl besser für mich. Wir gingen weiter. Die Spur führte uns fast schnurgerade nach Norden. Dann den Berg hinauf, bis auf sechshundert Meter. Er hatte sich alle paar hundert Meter umgedreht und nach hinten gesichert, ehe er seinen Weg fortsetzte. Er war uns etwa eine halbe Stunde voraus. Oben angelangt, hatte er im dichten Unterholz innegehalten und war dann mit der sturen Entschlossenheit eines Bären, der Hunde wittert, durch das jadegrüne Labyrinth weitergelaufen.
Je länger wir seiner Spur folgten, desto leichter konnte ich vorhersagen, wo er sich umdrehen würde, wo er einen Bogen machen, wo nach der Seite ausweichen und wo er lossprinten würde. Nach einer Weile glaubte ich ihn durchschaut zu haben.
»Er wird den Sattel überqueren und auf der anderen Seite absteigen, bis er etwa auf halber Höhe im Hang steht«, verkündete ich.
Nelson grinste säuerlich. »Der hält sich wohl für ’nen Hirsch, was?«
»Sieht fast so aus.«
Als wir jedoch den Sattel erreichten, hatte er ihn nicht ganz, sondern nur zur Hälfte überquert, dann war er in den eigenen Spuren zurückgegangen, nach Westen geschwenkt und dreißig Meter den Hang hinaufgerannt. Dort hatte er sich hinter eine mächtige entwurzelte Tanne geduckt, war wieder losgesprintet, in Schlangenlinien fast bis zum Ausgangspunkt zurückgerannt, bevor er über den Sattel und auf der anderen Seite wieder hinaufgelaufen war. Mir wurde schlecht.
Nelson kratzte sich am Kopf. »Scheint nicht recht zu wissen, was er will, der Typ? Der tickt doch nicht ganz richtig, wenn Sie mich fragen.«
Ich schüttelte den Kopf, versuchte, den Würgereiz zurückzudrängen. »Schön wär’s.«
Er mache sich über uns lustig, erklärte ich ihm, wolle uns vor Augen führen, dass wir seine Bewegungen nicht voraussagen könnten, er unsere dagegen schon. Er habe im Dickicht gelauert, um uns zu zeigen, dass er uns hätte umbringen können, während wir der falschen Fährte nachliefen.
»Aber einer von uns hätte ihn erwischt, oder?«
»Mag schon sein«, sagte ich.
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