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Panic

Panic

Titel: Panic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark T. Sullivan
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weiter. Ein Hirsch hätte wahrscheinlich den Rückzug angetreten. Das ergibt keinen Sinn.«
    Und dann wusste ich es. Er verhielt sich nicht wie ein Hirsch. Er verhielt sich wie eine Großkatze oder ein Wolf, ein Raubtier eben. Nach seinem Plan sollte uns die abrupt abbrechende Spur lähmen vor Schreck. Er hatte damit gerechnet, dass jemand in Panik geraten und ihm unsere Position verraten würde, was ja auch tatsächlich geschehen war.
    Ich griff nach dem Funkgerät in der Halterung. Die Antenne verfing sich in meinem Gürtel. Ich riss sie gewaltsam los, fummelte an der Rauschunterdrückung und brachte das Gerät zum Mund.
    »Nelson. Nelson, ich bin’s, Diana. Sagen Sie allen …«
    Der Schreck fuhr mir durch alle Glieder, als irgendwo vor mir im Wald ein gewaltiger Schuss die Luft zerriss. Und noch ein zweiter, gefolgt von einem unverwechselbaren dumpfen Schlag. Metall auf Fleisch.
    Ich rannte los. Earls Stimme über Funk überschlug sich fast. »Ich hab ihn! Jagdhunde her! Ich hab ihn endlich!«
    Nelson meldete sich. »Wo? Earl, wo sind Sie?«
    »Ich bin hier, unter dem …«
    Die Verbindung brach ab. Für den Bruchteil einer Sekunde blieb es still. Ich wartete darauf, dass er den Satz zu Ende sprechen würde.
    Stattdessen hörte ich einen Schrei, wie nur ein Mann ihn ausstoßen konnte, der es gewohnt war, dass alles nach seiner Pfeife tanzte. Die Entfernung schätzte ich auf etwa dreihundert Meter. Doch so wie der Wald den Laut weitertrug, veränderte er seine Gestalt, begann zunächst tief und kehlig, ging über in ein wildes Falsetto-Geheul, das Glas hätte zum Bersten bringen können … und wurde von einem dritten Schuss jäh abgeschnitten.
    Wieder war es still. Dann ertönte Lenores zitternde Stimme aus dem Funkgerät: »Bitte … o bitte, helft uns … lasst es nicht zu … bitte lasst es nicht zu …«
     
    Lenore Addison saß im Schnee auf einer alten Brandlichtung. Die braunen Samenkronen der Säckelblumensträucher bogen sich im herben Wind und streiften ihr übers Gesicht. Sie hielt den Kopf ihres Mannes im Schoß. Ihr Blick war noch nie so liebevoll gewesen. Earls Augen waren auf den liegenden Körper des mächtigsten Hirsches gerichtet, den ich je gesehen hatte.
    Earl stöhnte: »Es brennt. Es brennt ja so, Lenore. Aber schau ihn dir an, Süße. Schau ihn dir an, meinen Prachtburschen.«
    Lenore streichelte ihm übers Gesicht und beruhigte ihn: »Er ist der König des Waldes, mein kleiner Mann. Das war echt Spitze.«
    »Aber ich kann die Beine nicht bewegen. Wie soll ich ihn nur ins Lager schleppen, wenn mir die Beine nicht gehorchen?«
    Sie sah zu uns auf, das Gesicht tränenüberströmt. Keine Spur mehr von der taffen, geschminkten Fassade. Sie war nur noch das unsichere Mädchen aus irgendeinem Hinterwäldlerkaff in Texas. »Er ist alles, was ich habe. Was soll ich bloß tun?«
    Arnie und Phil traten zwischen den stämmigen Tannen hervor, die den südlichen Rand der Brandlichtung säumten. Ein Blick auf Earl, und Arnie kam angerannt. »Halten Sie ihn still«, sagte er zu Lenore, »damit er nicht noch mehr Schaden nimmt.«
    Phil nahm die orangefarbene Strickmütze ab. Sein Schädel glänzte vor Schweiß. »Scheiße, was soll das? Ich dachte, er hat den Killer erwischt.«
    »Das ist jetzt nicht wichtig, Mann«, schnappte Arnie.
    Phil trat gegen einen Baumstumpf. »Wir hatten ihn fast!«
    »Mein Vater war Arzt«, sagte ich und kniete mich neben Arnie. »Ich hab ihm manchmal assistiert.«
    Arnie nickte. »Halten Sie ihn fest, dann schneid ich ihm die Kleidung auf.«
    Der Zedernschaft und die feine Fiederung aus Truthahnfedern ragte aus Earls Parka, in der unteren Mitte des Rückens, knapp oberhalb des Beckens. Arnie zückte sein Jagdmesser und schlitzte die Kleidung um den Schaft herum auf. Der Stoff zerrte am Pfeil, und ein Schauer durchlief Earl. Er schrie auf und würgte. Ich hielt ihn fest, während Arnie den letzten Rest des wollenen Hemds entfernte. Der Pfeil lag jetzt frei. Der Länge des Schafts nach zu urteilen, die aus dem Fleisch ragte, war die Spitze nicht tief in den Körper eingedrungen. Die Wunde blutete kaum, aber offensichtlich hatte die Pfeilspitze das Rückgrat getroffen und ihre Wirkung nicht verfehlt.
    »Earl«, sagte Arnie, nachdem er die Stelle ein paar Minuten abgetastet hatte. »Der Kerl hat Sie schlimm erwischt, aber es könnte noch schlimmer sein. Der Pfeil scheint direkt über dem ersten Lendenwirbel zu stecken. Das bedeutet, dass sich Ihre Beine im Augenblick zwar nicht

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