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Panic

Panic

Titel: Panic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark T. Sullivan
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schimmerte, wurde rot und größer. Ich ging in Richtung des Sterns, geblendet von einem tiefroten Licht, das zu einer Waldlandschaft im Morgenlicht wurde. Um mich herum war Schnee, heftiges Schneetreiben. Und da sah ich mich selbst: Mit dem Kopf nach unten war ich auf die Äste einer massiven Kiefer gespießt, deren Wurzeln tief unter den Schnee und die Erde reichten und deren Wipfel weit in den Himmel aufragten. Ich starrte mich an, traute meinen Augen nicht. Meine Lippen bewegten sich, aber ich hörte keine Worte.
    Da waren wieder die Nacht und die Wolken und ein zweiter Stern, der über den Himmel flitzte und zu einem Vogel aus tausenderlei Farben wurde. Der Vogel schwebte über den Nachthimmel und sang ein Wiegenlied.
    Der Vogel schwang sich hoch in den schwarzen Himmel, explodierte und wurde zu einem riesigen, kreisrunden Bild aus bunten Garnen und Federn. Man sah darauf Frauen mit stahlblauem Haar, die Kinder zur Welt brachten. Männer und Knaben, die an einem smaragdgrünen Fluss fischten. Hunde, die den Mond anheulten. Im Zentrum des Bildes hielt eine Krähe einen kugelrunden Spiegel im Schnabel, in dem für den Bruchteil einer Sekunde die Gesichter meiner Kinder auftauchten, die nach mir riefen. Verzweifelt griff ich nach der Kugel, um mit ihnen zu sprechen, als in der oberen rechten Ecke ein Hirsch mit flammendem Fell erschien. Ich versuchte, mich auf die Kugel, auf Emily und Patrick und die Krähe zu konzentrieren, doch der Hirsch zwang mich, ihm zu folgen, und ich gehorchte ihm, überrascht, dass der Hirsch ein Jährling war, der zum Smaragdfluss ging, um zu trinken. Ich stieg mit dem Jährling in den Fluss. Der bestand nicht aus Wasser, sondern aus vielen schillernden Düften, die ich längst vergessen hatte – die nassen Blätter, die im Oktober auf den Teich meiner Mutter fielen, das Lorbeer-Aftershave meines Vaters, Mitchells Pall-Mall-Zigaretten, der Herd in unserer Küche, der Krankenhausgeruch, der Katherine in ihren letzten Jahren zu begleiten schien.
    Dieser letzte Geruch war wie eine starke Strömung, die so lange an meinen Beinen zerrte, bis sie nachgaben und ich darin versank. Ich wirbelte durch die Schwärze, bis eine silberne Luftblase auf mich zukam. Ich packte sie und sah hinein, erkannte erschrocken die Eingangshalle unseres Hauses bei Bangor und eine viel jüngere Version meiner selbst, die in Wollsocken über die Holzdielen ging, den unebenen Boden unter den Fußsohlen spürte, die Fotos von uns allen an der Wand sah. Mitchell, der im Garten Unkraut jätete. Katherine und ich auf einem Angelausflug nach Labrador. Mein Vater mit einem seiner größten Hirsche. Hochzeitsfotos. Babyfotos. Eine Familie. Ein Leben.
    Ich sah mich ins Arbeitszimmer meines Vaters gehen, und da saß in ihrem Flanellnachthemd Katherine auf seinem Schoß, und mein Vater bat mich, die Tür zu schließen. Es war Februar, mein letztes Jahr an der High School. Ich wusste schon vorher, was mein Vater gleich sagen würde, und ich wollte seine Worte nicht noch einmal hören müssen. Doch was sich in dieser Vision abspielte, war meine Vergangenheit, befand sich außerhalb meiner Kontrolle.
    Jetzt blickte Katherine von mir weg in die Ferne. Und mein Vater sagte: »Deine Mutter will nicht leer werden, ein Nichts, das uns verfolgt. Wenn sie vor langer Zeit gelebt hätte, hätte der Wald sie behandelt wie jedes geschwächte Tier und ihr Leben beendet, lange bevor ihr Verstand sich verabschiedet hätte. Sie will, dass wir ihr helfen zu sterben, solange sie sich noch an uns erinnert.«
    Ich sah, wie mein jüngeres Ich Katherine ungläubig anstarrte. Nachdem sie ihren Sitz im Senat aufgegeben hatte, war ich auf alles gefasst gewesen – dass sie langsam den Verstand verlieren, allmählich vergehen würde –, aber nicht auf so etwas.
    »Das lass ich nicht zu!«, rief ich. »Ist mir egal, was Mitchell oder die Alten sagen würden; das kannst du nicht tun.«
    »Sie will es so«, entgegnete mein Vater.
    »Woher weißt du das?«, schrie ich. »Sie weiß ja die meiste Zeit nicht mal, wo der Briefkasten ist.«
    Katherine legte mir die Hand auf den Arm und sagte: »Ich will es so, Little Crow.«
    Aber ich riss mich schluchzend los. »Nein, das ist nicht wahr. Er hat dich voll gestopft mit diesem Naturquatsch. Du verstehst doch gar nicht, was er vorhat.«
    »O doch«, sagte sie.
    Aber ich wollte ihr nicht zuhören. Ich wandte mich an meinen Vater. »Daddy, ich weiß, dass du dich für einen modernen
Puoin
oder so was hältst. Aber

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