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Panic

Panic

Titel: Panic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark T. Sullivan
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»Verstehst du mich?«, fragte er leise.
    Ich schüttelte schniefend den Kopf.
    Er kniete sich vor mich hin. »Ich habe dir Angst gemacht, nicht? Es tut mir Leid. Weißt du, dass du mich an die Frau erinnerst, die ich geliebt habe?« Und er wollte mir übers Gesicht streicheln.
    Ich wich seiner Hand aus, doch er lächelte. »Du hältst mich für einen Wilden, aber das bin ich nicht. Ich bin gebildet. Ich habe über das Volk der Huichol in der Sierra Madre promoviert. Kennst du die Huichol? Seit der Katastrophe lebe ich wieder bei ihnen.«
    »Noch nie von ihnen gehört«, sagte ich, damit er von etwas sprach, was ihn zu besänftigen schien.
    »Wir verehren den Hirsch«, verkündete er. »Der Hirsch ist Kauyumari, Mittler zwischen dem Menschen und Gott, den wir Tatewari nennen. Der Hirsch bringt auch die Peyote-Pflanze auf die Erde. Peyote ist für uns Huichol genauso heilig wie der Hirsch. Peyote und andere Wüstenpflanzen bringen dem, der sie zu sich nimmt, Visionen von Tatewari.«
    Er blickte in die Ferne und sagte zärtlich: »Vor langer, langer Zeit lebten die Huichol in Wikuta, der heiligen Wüste. Wir waren Jäger, und der Hirsch war unser Bruder. Noch jetzt, wenn wir Huichol einen Hirsch jagen, hetzen wir ihm nicht hinterher. Stattdessen suchen wir uns einen Hirsch, der stehen bleibt und uns entgegenblickt. Wir legen Schlingen für ihn aus und fangen ihn ein, damit wir ihn als unseren Bruder ansprechen und ihm erklären können, dass er sterben muss, damit wir leben können. Es ist nicht einfach, denn bevor der Hirsch stirbt, spricht er mit den Augen zu uns und bricht uns das Herz.
    Nachdem ein Huichol einen Hirsch auf heilige Weise getötet hat, betet er zu seinen Göttern und zu dem Großen Bruder Hirsch«, fuhr er fort. »Wenn alle Teile des Hirsches verwertet sind, werden die Knochen im Wald begraben, damit der Hirsch aus seinen Knochen neu erstehen kann.«
    Er lachte. Sein Gesicht leuchtete vor Begeisterung. »Auf die gleiche Weise und am selben Ort, in der heiligen Wüste Wikuta, suchen wir Peyote. Auch Kauyumari ist dort. Wir glauben nämlich, dass der Hirsch vom Himmel kommt, und wo er landet, wächst Peyote. Deshalb muss Peyote wie der Hirsch aufgespürt und mit einem Pfeil erlegt werden.«
    Er verstummte und seufzte bei der Erinnerung. Ich versuchte verzweifelt, ihn zu begreifen, herauszufinden, was es mit den Morden auf sich hatte. »Sind Sie ein Huichol?«
    Diesmal war sein Lachen echt. »Mehr als das«, sagte er. »Ich lasse mich seit Jahren zum
Mara’akame
ausbilden, zum Schamanen, wenn du so willst. Ich jage nach Hirschen, nach Peyote und nach Keili, das ebenfalls mächtige Visionen bringt. In meinen Visionen gehöre ich zum Volk der Wölfe, die vor uns hier waren. Der Wolf ist mein Verbündeter. Er hat mich hierher geführt, um das Entweihte zu reinigen.«
    »Warum wir?«, fragte ich. »Wir haben gegen kein Gesetz verstoßen, nichts getan, was Sie beleidigen könnte.«
    Er ignorierte mich. Stattdessen sprang er auf, hastete in den Altarraum und kam mit einer kleinen Trommel, dem Hirschgeweih, dem dritten gelben Pfeil und einem etwa zwanzig Zentimeter langen hirschledernen Medizinbeutel zurück. Er langte in den Beutel und holte etwas heraus, das aussah wie das kurze Stück eines blutgefüllten Tierdarms.
    »Das ist der Geist des Hirschs«, ließ er mich wissen und löste die Schnur um den Darmbeutel. Er tauchte seine Finger in das Blut, und ehe ich reagieren konnte, schmierte er mir lange Streifen ins Gesicht.
    »Bitte nicht«, bettelte ich und versuchte ihm auszuweichen.
    »Ich sehe, du verehrst den Hirsch auf deine Weise, Little Crow«, fuhr er fort. »Doch da ist noch eine Rechnung offen zwischen dem Hirsch und dir. Weil ich Achtung vor dir habe, will ich dir helfen, mit dir ins Reine zu kommen, bevor ich gehen muss.«
    »Nein«, sagte ich. »Bitte, ich will nicht …«
    »Weißt du«, fiel er mir ins Wort, »in gewisser Weise sind die Huichol wie Kinder. Sie jagen nur Peyote und Hirsche und Keili, bauen Mais an und glauben, so würden sie Gott erkennen.
    Doch ich habe gelernt, dass es andere Wege in die Welt der Geister gibt. Einige der
Mara’akame
unter den Huichol missbilligen die Männer, die weit draußen in der Sierra leben und die ich aufgesucht habe, um auf andere Weise mit Tatewari zu sprechen.«
    Er verzog das Gesicht und zischte: »Sie verfluchten mich, weil ich diesen Männern folgte und von ihnen lernte. Die Daturapflanze mache die Menschen verrückt, behaupteten sie. Doch ich

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