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Panic

Panic

Titel: Panic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark T. Sullivan
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schlug ich die Augen auf, und da kauerte er im Tunneleingang und beobachtete mich. Er hatte mein Gewehr in Händen. »Gehen wir, Little Crow«, sagte er.
    »Wohin?«, fragte ich, ermutigt, dass ich nicht in der Höhle bleiben musste.
    »Nicht weit«, sagte er.
    Ich summte mir das Frühlingslied vor. Es war eine gute Art und Weise, sich auf das Sterben vorzubereiten.
    Er beugte sich über mich und schnitt mir mit seinem Steinzeitmesser zuerst die Handfesseln durch, dann auch die Fußfesseln. Als das Blut wieder frei zirkulieren konnte, begann meine Haut ganz fürchterlich zu jucken. Er bedeutete mir, in meine Wathose zu schlüpfen. Vom stundenlangen Herumsitzen waren mir die Füße eingeschlafen, und ich musste meinen Körper durch Schütteln in Schwung bringen, um meine Beine in die gummierten Hüllen zu zwängen. Er reichte mir Handschuhe und Mütze. Während ich beides anzog, warf ich einen Blick auf meine Uhr: fast elf Uhr nachts, ich war also fast einen vollen Tag in der Höhle gewesen. Er zeigte mit dem Gewehr auf den Tunnel, und ich kroch ins Freie. Draußen wehte ein frischer Wind, und die Wolken am Himmel brachen das Mondlicht.
    »Da hinunter!«, kommandierte er.
    Ich unternahm zwei vorsichtige Schritte weg von der Höhle. Da holte er auch schon aus und stieß mich mit dem Gewehrlauf den Felsbuckel hinunter. Halt suchend griff ich nach Ästen, während ich auf schwammigen Knien abwärts rutschte, bis ich den Pappelhain erreicht hatte, durch den ich am Morgen gekommen war.
    Er leuchtete mir mit seiner Taschenlampe den Weg, und wir gingen nebeneinander her, bis wir das Wasser erreichten. Am gegenüberliegenden Ufer sah ich den schwachen Schein eines brennenden Feuers. Er bedeutete mir, in den Fluss zu steigen, und warf mir ein Stück Seil zu, damit ich es um die Leine schlang, die ans Ufer führte. Bevor ich die Sandbank erreichte, lockerte er den Gurt um meine Brust, wodurch er sicherstellte, dass sich meine Wathose rasch mit Wasser füllen und mich auf den Grund ziehen würde, sollte ich versuchen, mich von der Strömung davontreiben zu lassen.
    Dann schnallte er sich das Gewehr über die Brust, klemmte sich die dünne Taschenlampe zwischen die Zähne und schlang auch für sich eine Rettungsleine um das Führungsseil. »Los geht’s«, befahl er.
    Eine Wolke schob sich vor den Mond, als ich ins Wasser watete. Unwillkürlich war ich an den Fluss aus Gerüchen in meiner Halluzination erinnert. Der Lichtstrahl seiner Taschenlampe flackerte stroboskopartig über das weiße Wasser und zerhackte die Wirklichkeit zu einer raschen Abfolge aufblitzender Informationen: das tosende Eiswasser, das mich herumstieß, meine schlitternden Bewegungen auf den überspülten Felsbrocken, die verschwommene Uferlinie und die Möglichkeit, noch ein wenig am Leben zu bleiben. Zweimal rutschte ich von den Steinen und wurde von der Strömung fast in die Waagerechte gerissen; er stellte mich wieder auf die Beine. Endlich wankte ich ins seichte Wasser und fiel keuchend ans Ufer.
    Er zog wieder sein hässliches Messer, durchschnitt das Seil, das ihn mit seiner Zufluchtstätte verbunden hatte, und befahl mir aufzustehen. Etwa fünfzig Meter vom Ufer entfernt hatte er so etwas wie eine Schutzhütte aufgestellt: Hirschfelle, die zwischen mehrere Schösslinge gespannt waren, bildeten eine Rückwand, Seitenwände und ein niedriges Dach. Über die Erde waren ebenfalls Felle gebreitet. Vor dem Unterschlupf brannte hell ein Feuer. Ich warf mich davor auf die Knie und wärmte mir die Hände.
    »Alles ausziehen!«, befahl er.
    »A-alles?«, stammelte ich.
    »Alles«, sagte er und zielte mit dem Gewehr auf mich.
    »Warum?«
    »Nicht, was du denkst«, erwiderte er.
    »Warum dann?« Ich blieb beharrlich. Sein Gesicht verriet mir, dass er sich auf einer anderen Bewusstseinsebene befand, in der Welt der Halluzinogene und Visionen. Panik stieg in mir auf. »Werden Sie mich jetzt töten?«
    »Nein, ich habe zu viel Respekt vor dir.«
    »Warum soll ich dann …«, begann ich.
    Er schnitt mir das Wort ab. »Tu’s einfach!«
    Mir stiegen Tränen in die Augen, als ich mich auf die Hirschfelle setzte und mich aus der wattierten Hose schälte. Er nahm sie mir ab, ging zum Fluss und schleuderte sie in die Dunkelheit.
    Dann sah er mir ausdruckslos zu, wie ich Jacke, Hose, Weste, Hemd und lange Unterwäsche auszog.
    »Alles!«, sagte er.
    Ich zog Slip und BH aus, behielt nur noch den Medizinbeutel um den Hals.
    »Alles«, sagte er noch einmal.
    »Es ist das

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