Panik: Thriller (German Edition)
Ohren freizubekommen. Erst nach ein paar Sekunden fiel ihm auf, dass Cal dasselbe tat.
» Hörst du das auch?«, fragte er.
» Glocken.«
Daisy löste sich von ihm und steckte sich einen Finger ins Ohr.
» Sie sind so laut«, sagte sie. » Nein, nicht laut. Ich kann sie gar nicht hören. Das gefällt mir nicht.«
» Das kenne ich«, sagte Cal, während er sanft über Daisys zerzaustes Haar strich. » Mein Kopf war… keine Ahnung, voller Lärm und gleichzeitig völlig leer. Das hat mich zu Daisy geführt.«
Plötzlich wusste Brick, was er da hörte. Sie alle begriffen es gleichzeitig, ein Moment der Erkenntnis, der so schnell vorbei war wie ein Kerzenflackern, das sich in ihren Augen spiegelte.
» Das sind welche von uns«, sagte Brick.
Cal nickte. » Und sie brauchen unsere Hilfe.«
Rilke
Farlen, 00 : 37 Uhr
Der erste Mann aus der Menge hatte sie fast erreicht. Rilke beugte sich vor und tastete auf dem Acker herum, bis sich ihre Hand um einen apfelsinengroßen Stein schloss. Sie wartete, bis er nahe genug war– seine tierische Fratze war wie ein großes Loch voller Zähne, das sein Gesicht in zwei Hälften zu teilen schien–, dann warf sie den Stein mit aller Kraft auf ihn.
Als er gegen seine Nase prallte, klang es wie eine Milchflasche, die auf einem Steinboden zerbrach. Der Mann ging zu Boden. Rilke suchte nach dem nächsten Wurfgeschoss, aber es war zu spät. Das Teenagermädchen krachte in sie hinein. Beide landeten auf dem Acker, Maisstoppeln bohrten sich in ihre Arme und Beine. Das Mädchen rammte ihr den Ellbogen in den Magen, sodass ihr die Luft aus der Lunge gedrückt wurde. Bis Rilke herausgefunden hatte, wo oben und unten war, saß das Mädchen schon rittlings auf ihr, bohrte die Knie in ihre Rippen und kratzte mit den Fingernägeln über ihre Wangen.
Rilke kreischte. Das gurgelnde Geräusch, das zwischen ihren Lippen hervordrang, war seltsamerweise noch erschreckender als der plötzliche Angriff. Sie spürte keine Schmerzen, hörte nur das Rauschen ihres Blutes. Rilke schlug dem Mädchen gegen den Kopf, dann packte sie eine Handvoll Erde, rieb sie ihrer Angreiferin in die Augen und trieb sie zurück.
Wieder ein Heulen. Rilke sah auf. Ein Mann mit Dreadlocks holte gerade mit der Faust aus. Sie rollte sich herum, das Mädchen fiel von ihr herunter und gegen den Fuß des Mannes. Dieser verlor das Gleichgewicht und kippte um. Sie rappelte sich hoch. Immer mehr Leute rannten auf sie zu, zehn, zwanzig.
» Schiller!«, rief sie und duckte sich unter dem Schlag eines Mädchens weg. Rilke trat gegen ihr Knie. Die Knochen knackten wie ein Pistolenschuss. Wo war er nur? Sie konnte nur die ständig vorwärtsdrängende Meute sehen. Wenn sie ihn nicht schleunigst fand, waren sie beide tot.
Da, in etwa fünfzehn Metern Entfernung, war ein schattenhaftes Knäuel mit zu vielen Armen und Beinen. Das musste er sein.
Rilke rannte los. Sie rutschte auf dem lockeren Erdboden aus und wäre beinahe hingefallen. Das Zittern, das sie unter ihren Füßen spürte, hatte nichts mehr mit der Musik zu tun. Sie drehte sich nicht um– das wäre ihr sicherer Tod gewesen. Jetzt kam es nur noch darauf an, Schiller rechtzeitig zu erreichen.
Sie hörte bereits seine schwachen Rufe. Er lag auf dem Boden. Ein Mann saß auf seinem Bauch und versuchte, ihn zu erwürgen. Er trug neonfarbene, fluoreszierende Fingerhandschuhe. Schillers Augen hatten die Größe hart gekochter Eier. Es sah aus, als würden sie gleich aus den Höhlen fallen. Mit den Händen schlug er kraftlos auf seinen Angreifer ein.
» RUNTER DA !«, schrie Rilke. Sie war nur noch wenige Meter entfernt, ballte die Faust und hob sie, um diesem Penner damit den Schädel einzuschlagen.
Jemand stellte ihr ein Bein. Sie ging mit so viel Schwung zu Boden, dass sie fast einen Purzelbaum geschlagen hätte. Ein erdrückendes Gewicht landete auf ihrem Rücken. Dieses Mal spürte sie die Schmerzen sehr wohl, eine weiß glühende Welle fuhr ihr Rückgrat hinauf. Eine Faust prallte gegen ihren Hinterkopf und rammte ihr Gesicht in den Dreck. Dann eine weitere, wie ein Vorschlaghammer. Sie versuchte zu atmen, schmeckte jedoch nur Schmutz und Würmerdreck in ihrem Mund. Irgendjemand hatte ihre rechte Hand gepackt und bog sie nach hinten.
Sie würde sterben. Sie würden sie hier auf diesem Acker töten, kaum eine Meile von ihrem Zuhause entfernt. Sie würden sie hier begraben, und niemand würde sie jemals finden. Das war unmöglich, völlig verrückt. Das konnte nicht
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