Pantoufle - Ein Kater zur See - Schacht, A: Pantoufle - Ein Kater zur See
– sie alle flanierten an mir vorbei.
Ich hörte die Märsche, bei denen sich die Pferde aufbäumten; die klimperigen kleinen Me lodien, zu de nen die Jongleure ihre Kugeln und Schlegel in die Luft warfen; die lustigen Weisen, von lauter Tuschs unterbrochen, wenn dem Clown wieder ein Missgeschick passierte; die schwingende Musik, bei der die Trapezkünstler durch die Luft flogen, und die erhabene Musik, die die Darstellung der beiden großen Raubkatzen begleitete.
»Ein reiches, buntes Leben, Majestät«, wisperte ich.
Und plötzlich war er da, ihr Gefährte. Groß war er, goldbraun sein Fell, mächtig die rötliche Mähne, die seinen Nacken umwallte. Doch nicht in der Arena stand er, sondern lag auf einem flachen Felsen. Die Sonne schien auf seinen Pelz und ließ ihn über seinen langen, starken Muskeln schimmern. Er blickte über eine weite, von goldenem Gras bedeckte Ebene. Ein leichter Wind ließ die Halme wie sanfte Wellen wogen. In der Ferne erhob sich am blauen Horizont eine Bergkette. Hier und da wuchsen dunkel belaubte Bäume in kleinen, Schatten spenden den Gruppen. Dann und wann erhoben sich Schwärme von Vögeln aus ihnen und kreisten zwitschernd unter dem ho hen Himmel. Blü hende Büsche säumten einen Bachlauf, der sich plätschernd in einen See ergoss. Hier würden sich in der Abenddämmerung die Herden versammeln, und der große Jäger würde unter ihnen seine Auswahl treffen. Doch noch ruhte der König der Tiere.
Plötzlich aber erhob er sein Haupt und sah zu mir her.
Nein, nicht zu mir, denn sein Blick ruhte mit großer Liebe auf Maha Rishmi.
Dann verschwamm das Bild, und eine unglaubliche Wärme breitete sich in mir aus. Sanft rieb ich meinen Kopf an Maha Rishmis Flanke. Sie hatte keine Angst vor dem, was kommen würde.
»Ihr geht zu Eurem Gefährten, Majestät. Ihr wer det erwartet, dort in den goldenen Steppen, wo alles Leid verblasst und immerwährend die Sonne scheint.«
Die Löwin sagte nichts, aber ich wusste, dass sie mich verstand. Ein Befehl ohne Worte ereilte mich, und ich befolgte ihn umgehend. Ich stand auf und setzte mich vor ihren Kopf, sodass sie mich sehen konnte.
Vor dem Verschlag kamen leise Schritte näher, ein Trippeln von Li lis Pfoten und die Schritte zweier Menschen.
Pippin öffnete die Tür und ließ sich neben Maha Rishmi nieder. Janed blieb in höflicher Entfernung stehen.
Ich spürte die Erlaub nis und maunz te Janed an. Sie verstand, meine gute Menschenfreundin verstand und setzte sich neben Pippin. Lili aber schmiegte sich wieder an den Bauch der Löwin.
Und so wachten wir, während vor dem Fenster der Sternenhimmel vo rüberzog. Schweigend, versunken in Gedanken an eine große Königin.
Ihr Herz schlug langsamer und langsamer, und ich dachte schon, dass es jeden Augenblick da mit aufhören würde. Aber dann öffnete Maha Rishmi noch einmal die Augen.
Bernsteinfarbene Augen, von bezwingender Gewalt. Sie blickte mich an. Mich, den klei nen Pantoffel, den Schisserkater. In meinem Kopf dröhnte es plötzlich.
»Du versuchst beständig, dich klein zu machen, junger Held. Doch darin liegt nicht der Erfolg im Leben. Pantoufle, du musst dich groß machen, nicht klein. So groß, wie du wirklich bist. Du kannst es!«
Und der Strahl aus ih ren Augen bohrte sich in die meinen.
Ich wuchs, ich wurde groß und größer. Meine Pfoten dehnten sich zu Pran ken aus, meine Zähne zu ei nem Raubtiergebiss, mein Schwanz wurde zu einem Schweif mit einer Quaste, um meinen Hals bil dete sich eine wallende Mähne.
Ich richtete mich auf, zu meiner ganzen königlichen Macht.
Anerken nung und Liebe lagen in mei ner Königin Blick.
Ich sammelte meinen Atem, füllte meine Lungen zur Gänze.
Und dann brüllte ich für sie.
Der Boden erbebte, das Fenster klirrte, die Luft erzitterte, die Wände wollten schier bersten.
Der Mond legte sein silbernes Licht auf Maha Rishmi.
Ihre Augen wandten sich Pippin zu, sandten ihm eine letzte Botschaft. Dann schloss sie sie endgültig.
Der Lichtstrahl erlosch.
Ich war wieder Pantoufle, und zusammen mit Lili stimmte ich die große Klage an.
Während wir sangen, hatte Pippin seinen Kopf in
Maha Rishmis Fell vergraben und Janed ihren Arm um seine Schultern gelegt. Ihr Gesicht war nass.
Schließlich war unsere Klage beendet, und wir setzten uns ruhig neben den mageren Leib der verstorbenen Königin.
Pippin richtete sich langsam auf und murmelte: »Danke.«
Er streichelte die Löwin noch einmal und dann Lili und mich. Er nahm Janeds Hand
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