Pantoufle - Ein Kater zur See - Schacht, A: Pantoufle - Ein Kater zur See
muss ich nicht nach meiner Brille suchen.«
»Ja, also«, begann Janed und las uns vor, mit welcher Inbrunst Adèle diesen Enrico verehrte. Dass sie sich ganz sicher war, er habe ganz al leine für sie die Arie »Lun ge da lei per me« gesungen.
Pippin gab einen Seufzer von sich, und Janed fragte: »Was ist das für eine Arie?«
»Aus der Oper ›La Traviata‹. Es singt Alfredo: ›Fern von ihr gibt es für mich kei ne Freude!‹ Ein prächtiges Liebeslied an sei ne Violetta. O je, wenn Adèle das auf sich bezogen hat … ›Hier fühle ich mich bei ihr wie neugeboren und vom Atem der Liebe neu belebt …‹ Das ist zwar sehr romantisch, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er es wirklich für sie gesungen hat.«
»Sie glaubt es, weil er sie dabei angesehen hat, Pippin.«
»Janed, wenn man auf der Bühne steht, kann man im Publikum kaum einzelne Gesichter erkennen, geschweige denn jemandem dabei tief in die Augen sehen.«
»Ich war noch nie in einer Oper, Pippin. Aber ich würde ja so gerne mal eine sehen.«
»In New York gibt es ein großes Opernhaus, die Metropolitan, und – wenn ich es recht überdenke, sollte ich wohl in der Lage sein, für uns beide Karten zu bekommen.
Vielleicht nicht gerade zur Premiere am Dreizehnten, aber an dem einen oder anderen Tag danach. Würden Sie mich begleiten, Janed?«
Ich merkte, wie meine Menschenfreundin geradezu vor Aufregung zu schnurren begann.
»Ken nen Sie … kennen Sie Enrico Granvoce, Pippin?«
Pippin lächelte still.
»Ja, ich kenne ihn. Und darum glaube ich auch nicht, dass er ein wie auch im mer geartetes Interesse an Madame Adèle Robichon hat. Seine Liebe gilt in erster Linie der Musik, in der zweiten einer Dame, deren Name nie genannt werden sollte.«
»Oh – na ja. So ist das wahrscheinlich bei Künstlern.«
»Nicht nur bei denen, aber das ist ein Kapitel für sich. Aber zurück zu Adèle. Sie scheint mir eine Frau von großer Einbildungskraft zu sein. Sie hat Enrico in seinen Rollen als Liebhaber gesehen und fantasiert sich jetzt ihre eigene Geschichte zusammen. Die glaubt sie mehr als die Wirklichkeit, und darum meint sie, Enrico müsse ihr nun auch diese Gefühle entgegenbringen. Ich frage mich, ob sie wirklich zufällig auf diesem Schiff ist oder ob sie ihm sogar nachfährt.«
Janed zupfte an ihrer Jacke.
»Ich glaube, dass sie hinter ihm her ist. Ich meine, als ich am Kai stand, da in Brest, da hat sie schon mal eine kleine Szene gemacht. Sie wollte unbedingt von einem Pagen wissen, ob Enrico Granvoce schon an Bord sei. Damals sagte der Name mir nichts. Aber sie war ziemlich hektisch deswegen.«
»Dann wird sie ihm tatsächlich hinterhergereist sein. Wie lästig für den Armen. Na, lassen Sie mir den Brief hier, Janed. Wenn sich eine Gelegenheit ergibt, spreche ich Ron Cado oder den Kapitän darauf an.«
»Danke, Pippin.«
Madames Rausschmiss
Nachdem wir diese Angelegenheit zufriedenstellend erledigt hatten, fanden wir an Janeds Lager eine zugedeckte Schüssel vor, aus der es herrlich duftete. Zwei der Mitreisenden hatten schon verlangende Blicke daraufgeworfen, aber Janed machte ihnen unmissverständlich klar, dass es mein Essen sei.
Und – hach – das war köstlich. So gut hatte ich seit den Tagen in Janeds Häuschen nicht mehr gespeist. Mein Bauch formte anschließend eine Kugel unter meinem Pelz, und ich musste dringend eine Runde schlafen.
Irgendwann spürte ich Lili, die sich an mich schmiegte. Heilige Bastet, war das schön. Früher, da hatte ich zwar ein paar Revierkollegen, mit denen ich manchmal gemeinsam durch die Gärten und die Landschaft streifte, und ja, ein mal hatte ich mich auch in lustvoller Absicht einer Kätzin nähern dürfen, aber diese Art Traulichkeit, die hatte ich noch nie kennengelernt. Es war eben doch ganz an ders, als mit ei nem Menschen das
Bett zu teilen. Diese pelzige, atmende Gegenwart, dieses untergründige Schnurren, der gelegentliche Zungenschlapp. Ich vergrub meine Nase in Lilis Bauchfell, das so herrlich weich und kuschelig war.
Doch sie war ein wenig nervös, das merkte ich nach einer Weile. Also zwang ich mich, endlich richtig wach zu werden.
»Gibt es wieder Ärger?«, fragte ich Lili, nachdem ich mich ausgiebig gestreckt hatte.
»Adèle schleicht wie ein eingesperrter Tiger in ihrer Kabine herum. Hast du einen Brief gefunden?«
Ich bejahte und erzählte ihr auch, was darin stand und was damit geschehen war.
»Das passt. Sie murmelt ständig vor sich hin, dass er sie doch erhören
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