Papa ante Palma
großzügige Geschäfte aneinander. Der Fahrer lenkt den Bus schnittig die Außenspur entlang, bis die Anzeigetafel mit den roten Buchstaben an der Busdecke »Plaça d’España« anzeigt. Dieser teilweise begrünte Platz ist offenbar der zentrale Treffpunkt der Stadt, da aus allen Richtungen Menschenmassen herbeiströmen. Eine ganze Reihe von Leuten hat sich unter die schattigen Baumkronen geflüchtet, und noch aus dem Busfenster kann ich erkennen, dass die meisten von ihnen Touristen sind.
Jetzt ist es nur noch eine Haltestelle, bis ich aussteigen muss, und ich schaue neugierig auf die Straße. Wenn ich alle Fahrspuren zusammenzähle, komme ich auf insgesamt zehn. Das könnte ebenso gut in Mexiko-City sein. Ich hoffe, der Bus biegt bald ab, sonst liegt unsere Wohnung am Ende noch genau an dieser Stadtautobahn. Just in diesem Augenblick sehe ich durch die Frontscheibe den Abbiegepfeil auf unserer Fahrspur. Super, alles andere wäre echt schlimm gewesen. In der Erwartung, dass der Bus gleich abbiegt, lege ich mich schon mal in die Kurve, woraufhin mich der Mann neben mir leicht befremdet ansieht und die Stirn runzelt. Eine Sekunde später wird mir klar, wieso: Der Bus biegt nicht ab. Er hält mitten auf der Stadtautobahn.
Wir haben meine Haltestelle erreicht: »Comte de Sallent«. Fuck!
Leicht widerwillig springe ich aus dem klimatisierten Bus. Das Gemisch aus Abgasen, aufgeweichtem Asphaltgeruch, heulenden Motoren und einer Mauer aus kochend heißer Luft trifft mich wie ein Vorschlaghammer, während sich die Tür hinter mir hydraulisch schließt. Mit einem leisen Seufzen setzt sich der Bus in Bewegung und gibt die Sicht auf die gegenüberliegende Straßenseite frei. Nummer 17. Mein neues Zuhause. Fünf Stockwerke. Im Erdgeschoss befindet sich offensichtlich ein Fußpflegegeschäft, denn im Schaufenster stehen mehrere auf Stäbe aufgespießte Plastiken von Füßen. Das beigefarben gestrichene Haus wirkt schmal und steht wie eingequetscht zwischen den breiten Schultern zweier Bürogebäude, an deren Fenstern Zettel mit der Aufschrift » Se alquila – Zu vermieten« kleben. Kein Wunder, wer will an dieser Straße schon leben oder arbeiten? Außer uns offensichtlich. Ich ziehe den Bügel meines Koffers heraus und überquere die breite Straße im Trab, da von allen Seiten ständig Autos angerast kommen. Meine Vorfreude auf Mallorca weicht einer saftigen Ernüchterung. Aber das Wichtigste sind jetzt Lucia und die Kinder.
Als der Aufzug im fünften Stock mit einem kleinen Hüpfer zum Stillstand kommt, höre ich es schon. Dieses Glucksen und Fiepen. Dazu das Getrippel und das Klopfen gegen alles und jeden. Hinter dieser trägen Aufzugtür warten meine Kinder. Wie das klingt: meine Kinder! Seltsam. Nach wie vor.
Kinder haben doch immer nur die anderen, und in meinen Lebensentwürfen kamen sie bestenfalls als Option vor. Aber nun stehen sie da und kieksen »Papa!« durch die Aluminiumtür. Vermutlich sind das die Momente, für die man Kinder bekommt. Nicht wegen der Angst, dass man im Alter allein sein könnte oder weil alle Nachwuchs haben oder weil die Natur es so will oder weil man denkt, so ein Kind sei eine Chance, das eigene verpfuschte Leben zu retuschieren. Nein, man bekommt sie, damit sie nach zwei langen Wochen der Trennung hinter einer Tür stehen und glucksen.
Dann öffnet sich die Tür.
Die Zwillinge sehen anders aus, wirken viel größer. Luna hat ein pinkfarbenes Kleidchen an. Ihre blonden Haare sind durch Sonne und Salzwasser noch heller geworden und haben sich zu süßen Löckchen gedreht. Die Haut hat einen zarten hellbraunen Teint angenommen, der ihre braungrünen Augen nur noch mehr betont. Sie ist wunderhübsch. Sophie trägt wie immer ein ärmelloses Jungs-T-Shirt, diesmal mit einem vieräugigen Monster darauf, und eine kurze Hose. Sie ist ein paar Zentimeter größer und insgesamt kompakter als Luna, und auch wenn ihre Wangen noch kugelrund sind, wirkt sie mit ihren vierzehn Monaten nicht mehr ganz so babyhaft. Ihre braunen, glatten Haare glänzen vor Vitalität, und an Schultern und Oberarmen zeichnen sich Muskeln ab, die einem Angst machen können – wahrscheinlich auch demjenigen, der sie in etwa zwölf, nein, besser sechzehn Jahren gegen ihren Willen zu küssen versuchen wird.
Als ich die Mädchen in die Arme schließe, durchströmt mich ein friedvolles Gefühl. Ich drücke die beiden noch einmal an mich, bevor ich Lucia, die neben ihnen steht, einen Kuss gebe. Letztlich sind es diese
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