Papa ante Palma
mir damals auch vorgestellt, wie Luna
und Sophie sich, wenn sie einmal älter und in Deutschland wären, an die Zeit auf
der Insel erinnerten. Zum Beispiel an das Gefühl, wie die Temperatur des Sandes
steigt, sobald man aus dem kühlen, vom Wasser gehärteten Streifen der Brandung
tritt. Sie würden sich vielleicht auch daran erinnern, wie das Meer innerhalb
weniger Stunden die Schattierungen wechselt, von einem düsteren Silber über
Kobaltblau bis hin zu einem frischen Türkis, und wie erfrischend diese
eigenartig kühlen Stellen inmitten des sonst badewannenwarmen Wassers sind. Wie
abends am Strand Ruhe einkehrt, wenn alle nach Hause strömen, obwohl das Licht
wärmer, das Meer sanfter und der Wind schwächer werden. Und daran, dass nach
einem langen Tag am Meer ihre Arme nach Mandeln riechen, ihre Haare sich fester
und stumpfer anfühlen und die Bräune sich noch unter einem sandigen Staub
verbirgt.
Das alles habe ich mir in den prächtigsten Farben
ausgemalt. In Wirklichkeit sind wir bisher nur ein paar Mal am Meer
entlangspaziert.
»Kinder«, beschließe ich eines Tages feierlich
beim Frühstück, »es wird Zeit für unseren ersten richtigen Strandtag.«
Die Zwillinge sehen mich mit einer Mischung aus
Neugier und Angst an.
El monito liegt für
einen Strandausflug ausgesprochen günstig, denn die Kita ist keine fünfhundert
Meter vom Meer entfernt. Als ich die Mädchen am Nachmittag abhole, um direkt zum
Meer zu gehen, drückt Maria und Josef 1 mir die beiden in den Arm und sagt:
»Achiedesän.«
Wir lachen hell auf.
»Ebenfalls auf Wiedersehen«, sage ich. »Bis
morgen.«
»Wenn wir so weitermachen, lerne ich noch
Deutsch«, ruft sie uns hinterher.
Ich hebe nur die Hand, ohne mich umzudrehen, und
eile los, denn ich will endlich zum Meer. Ich kann es sogar fast schon riechen,
dabei nennt Lucia mich immer einen Geruchslegastheniker. Dieser leichte Hauch
nach salzigem Fisch an Algenmousse. Herrlich!
Sobald man die letzte Häuserreihe Palmas vor dem
Meer passiert, verändern sich die Geräusche. Hier gibt es keine betonierten
Flächen mehr, die den Schall verstärken. Kein Durcheinander von quietschenden
Bremsen. Keine schrillen Schienengeräusche mehr. Ab hier übernimmt der Wind das
Kommando.
Dann sehe ich es. Das Meer. An dieser Stelle ist
es für einen Stadtstrand wirklich gut: nicht zu aufgewühlt, nirgends
Algenschlamm und die leichten Wellen versprechen puren Badespaß. Von der
Promenade aus, die ein paar Meter oberhalb des Strands liegt, kann ich ihn
sehen, unseren Platz. Eine Woche zuvor habe ich bei einem Spaziergang mit Lucia
und den Kindern das Fleckchen ausfindig gemacht, das zu späterer Tageszeit einen
akzeptablen Kompromiss aus Erreichbarkeit, Wasserqualität, Sandreinheit,
Nebenliegern, Strandüberwachung des Roten Kreuzes und diversen Po-Ansichten
Volleyball spielender mallorquinischer Studentinnen darstellt. Dass ich diese
Auswahl ohne vorheriges Erstellen einer Computertabelle getroffen habe, halte
ich bereits für einen sehr mediterranen Zug.
Heute gilt es hier drei Stunden zu überbrücken,
bis Lucia von der Arbeit kommt. Es ist zwei Uhr mittags, der Strand ist
menschenleer, und die Luft flirrt. Um die Zeit sind die meisten nicht
arbeitenden Spanier in ihren Häusern, um Siesta zu halten. Ein, zwei
Großfamilien, ich tippe mal auf Andalusier, sitzen gedrängt unter
Strandschirmen, trotzen der Hitze und futtern Pasta aus Plastikschüsseln. Außer
ihnen liegen ein paar eingebutterte Einzelkämpfer über den Strand verteilt wie
angespültes Strandgut von einem Schiffsbrand. Sie tragen neben Stringtangas
ausschließlich teelöffelgroße Augenprotektoren, um auch wirklich keinen
Sonnenstrahl zu verschenken.
Als ich mit dem Doppelsitzer von der Promenade
auf den holzbeplankten Strandweg ausschere, winken die Andalusier mir zu. Sie
freuen sich sichtlich über einen Mann, der bei siebenunddreißig Grad im Schatten
einen riesigen Kinderwagen an den Strand schiebt.
»Luna, Sophie, hopp, steigt aus, ihr könnt prima
laufen«, rufe ich, bevor ich den Kinderwagen die letzten Meter über den Sand
rolle.
Die Räder sinken sofort tief ein. Die Zwillinge
wollen nicht aussteigen und fangen an zu schreien. Sie schwitzen im Nacken, ich
kann es deutlich sehen. Von dem Geschrei aufgeschreckt, dreht ein Stück weiter
hinten einer der Sonnenfetischisten behäbig den Kopf, klappt den Augenschutz
hoch und späht zu uns herüber. Kurz muss ich an einen Waran auf den
Galapagos-Inseln denken. »Schnell,
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