Papa ante Palma
alles
schiefgehen, selbst die einfachsten Dinge?
Hinter mir ist es eigenartig leise. Sophies
Geschrei ist verstummt. Ist das etwa ein Zeichen von Mitleid? Hat sie wirklich
so viel Feingefühl? Als ich mich zu ihr umdrehe, sieht sie mich schuldbewusst
an. Da fallen mir die seltsamen Formen auf, die sich um sie herum von der
Sandoberfläche abheben. Obwohl die Gebilde ebenfalls aus Sand zu bestehen
scheinen, zeichnen sie geradezu perfekt die Umrisse von beliebten Obstsorten
nach, etwa die einer Banane und daneben die eines Apfels. Entweder hat hier
irgendwer Obstförmchen, oder …
Im Bruchteil einer Sekunde wandert mein Blick zu
der Dose hinüber. Sie ist leer.
»Okay, Feierabend«, sage ich. »Es reicht. Ihr
beide setzt euch jetzt schön brav unter den Schirm, und ich gehe kurz
baden.«
Die Zwillinge wirken beeindruckt.
Ohne ihre Reaktion abzuwarten, renne ich in
Richtung Meer und verschwinde mit einem Kopfsprung in der Brandung. Mit
kräftigen Zügen bewege ich mich vorwärts und tauche immer wieder unter. Das Meer
ist nichts wert, wenn es keiner schätzt. Meine Brust schmerzt. Ich lasse mich
dahingleiten. Unter Wasser öffne ich die Augen. Der Seeboden leuchtet mir hell
entgegen. Für einen Moment wünsche ich mir Kiemen oder Schwimmhäute an den
Fingern und Zehen. Dann würde ich noch ein bisschen hier unten verweilen, bis es
dämmert, und mich vielleicht im Dunkeln zurück an Land trauen.
Der Kiemenmann von Mallorca. Ich würde aussehen
wie das Ding aus dem Sumpf und in der Altstadt von Palma steinreiche Juweliere
und korrupte Bankiers überfallen. Entkommen würde ich durch die Kanalisation,
wie in jedem halbwegs ernstzunehmenden Gangsterfilm. Einziges Indiz: eine Pfütze
am Tatort, gepaart mit leichtem Fischgeruch.
Meine Lunge platzt beinahe. Es geht nicht mehr,
ich muss auftauchen. Ich habe ein Déjà-vu: der Moment eines unerwartet
friedvollen Todes und Herr Engels. Dann verblasst das Bild, ich schwimme ein
paar Züge nach oben und durchstoße die Wasseroberfläche. Anfangs ist mein Atem
noch so laut, dass er das gellende Gejaule meiner Kinder übertönt, doch dann
dringt es zu mir herüber, in den unbarmherzigsten Frequenzen, irgendwo zwischen
Motorsäge und Sopranflöte. Die Zwillinge stehen heulend am Ufer.
»Papaaa! Mamaaa!«
Einer der Rentner versucht sie zu beruhigen. Ich
winke ihnen zu. Bin erfrischt, getauft, runderneuert und damit bereit für eine
neue Runde. Ich werde durchhalten, bis Lucia kommt.
»Bin schon da!«, rufe ich ihnen zu.
Da berührt mich etwas an der Schulter. Mir fährt
der Schreck bis in die Zehenspitzen, und ich schreie auf. Was zum Teufel war
das? Aus den Augenwinkeln kann ich etwas Fleischfarbenes erkennen. Ein anderer
Schwimmer? Ich versuche Abstand zwischen mich und das riesige Objekt zu
bekommen, das neben mir im Wasser dümpelt. Das ist kein Schwimmer. Das ist ein
Schwein oder vielmehr der Kopf davon. Aus dem hinteren Teil ragen noch Stücke
der Halswirbelsäule heraus. Ich schnappe nach Luft und kraule wie von Sinnen zum
Strand. Gegen einen abgehackten Schweinskopf sind die Kinder wirklich Karneval.
Doch als ich aus dem Wasser steige, sind sie weg. Dafür ist Lucia da. Ihre rote
Allwetter-Fahrradtasche im Arm, steht sie neben unserem Sonnenschirm, die Kinder
hängen an ihren Beinen.
»Was soll das?«, fragt sie verärgert. »Wieso
lässt du die Kinder alleine am Strand?«
»Ich … ich wollte mich nur kurz erfrischen«,
stammele ich.
»Waren die beiden so schlimm?« Lucia dreht das
Gesicht leicht zur Seite, als erwarte sie eine Ohrfeige.
»Ach, wie immer«, sage ich und denke, dass es
genügt, wenn einer von uns einen verkorksten Nachmittag hatte.
»Und, wie ist das Wasser?«
»Nicht so gut wie beim letzten Mal.« Ich fläze
mich neben das Strandtuch und lasse mir die Sonne auf den Bauch scheinen. Über
mir kreisen ein paar Möwen.
»Ich geh mit den beiden ein bisschen am Strand
spazieren, okay?«
Lucia zieht einen Bikini an und bindet sich die
langen schwarzen Haare mit einem Gummiband zusammen, so dass sie einen Knoten
bilden. Wenn ich sie so betrachte, dann unterscheidet sie sich kaum von den
anderen spanischen Frauen, die um uns herum in der Sonne liegen. Sie hat den
gleichen zierlichen Körper, den gleichen karamellfarbenen Teint und die gleichen
Wellen im Haar. Die perfekte Adaption für das Habitat Strand. Dann geht Lucia in
die Hocke und setzt den Kindern die Sonnenmützchen richtig auf.
»Ja, macht nur«, antworte ich.
Wo ist das Schwein? Ich
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