Papa ante Palma
Best-case-Szenario wäre, wenn wir mit der
neuen Produktserie ein Cross-Selling hinbekämen und so die alten Packagings
abverkaufen könnten«, sagt Lucia und hat für eine Sekunde meine volle
Aufmerksamkeit.
»Witzig. Hast Du gerade Best-case-Szenario
gesagt?«, frage ich.
»Ja, warum?«
»Och, nur so.«
Doch selbst bei unseren eigenen Kindern bin ich
oft hin- und hergerissen. Zwar fühle ich eine tiefe Verbindung zu ihnen, doch
bereits nach einer anstrengenden Nacht und dem morgendlichen
Ich-will-mich-aber-nicht-anziehen- oder Ich-will-aber-nicht-in-den-Wagen-Gezeter
spüre ich ebenso eine nie gekannte Genervtheit und Aggression, die ich beim
besten Willen nicht mit Liebe unter einen Hut bekomme.
Sobald die negativen Gefühle abklingen, fühlt es
sich sofort wieder so an, wie es sein sollte, eine Liebe, die jede Faser meines
Herzens durchdringt. Letzten Endes ist das Gefühl jedoch viel weniger stetig,
als ich je gedacht hätte.
»Kann ich nachher noch mit Maike joggen gehen?«,
fragt Lucia und wartet ungeduldig auf eine Antwort, die nicht kommt. »Ja oder
nein?«, setzt sie hinzu. »Du kannst mit den Kindern ruhig schon mal
vorgehen.«
»Ja, Herrgott noch mal«, sage ich.
»Wo sind denn die Butterkekse? Hast du die etwa
nicht eingepackt?« Lucia mustert mich mit zusammengekniffenen Augen.
»Doch, aber ich habe sie alle aufgegessen. Auf
dem Weg zum Hort.«
Allerdings empfinde ich auch einige Reaktionen
von anderen Menschen als bizarr. Irgendwelche Passanten, die sich aus mir
unerfindlichen Gründen zum Priester auserkoren fühlen, drehen sich plötzlich um,
nehmen meine Hand und grienen mich an, als wollten sie mir jeden Moment einen
Heiratsantrag machen. Mit der anderen Hand fahren sie langsam über die Köpfe der
Kinder, als wollten sie sie segnen. Sagen tun sie dabei meist nichts. Sobald ich
die Hand wegziehe und das Weite suche, lächeln sie mir gütig hinterher, als
hätten sie auch das schon vorhergesehen.
Was jüngere Frauen betrifft, hält sich ja
hartnäckig das Gerücht, ein Mann mit Kindern suggeriere Fruchtbarkeit und
Wohlstand, weshalb er fast automatisch zum Objekt der Begierde werde.
Na ja, ich meine in letzter Zeit durchaus so
etwas wie eine gesteigerte Anziehungskraft auf einige Frauen zwischen
fünfundzwanzig und fünfunddreißig gespürt zu haben. Zwillinge zu bekommen
scheint tatsächlich ein weitverbreiteter Wunsch zu sein – woher dieser
Größenwahn auch immer kommen mag. Aber bisher haben es ausnahmslos alle Frauen
geschafft, direkt in den Kinderwagen zu lächeln, und mit schräg nach unten
geneigtem Haupt an mir vorbeizulaufen. Der Effekt scheint sich also eher auf die
Kinder zu beschränken.
»Kommt, Kinder, wenn Papa die Kekse aufgegessen
hat, dann hole ich euch ein kleines Eis.«
Bei ganz besonders attraktiven Frauen beuge ich
mich daher stets schnell zu den Zwillingen herunter und reiche ihnen einen
Alibi-Keks oder eine Alibi-Wasserflasche. Dabei kommt es auf das richtige Timing
an, um das Lächeln sozusagen von unten abzufangen. Im rechten Moment trifft es
mich voll. Bin ich dagegen zu früh, stolziert die Señorita vorbei, ohne uns
eines Blickes zu würdigen. Bin ich jedoch zu spät, dann bin ich eben zu spät,
und die Kinder sehen mich verwundert an, als wollten sie mich fragen, warum ich
schon wieder eine Runde Kekse springen lasse.
Jedenfalls ist der Wagen mit den beiden
Frischlingen, trotz aller Eigenartigkeiten, die einem als Vater von Zwillingen
so widerfahren, nichts anderes als ein echter Stimmungsaufheller. Selbst die
tristeste Fußgängerzone wird für kurze Zeit wenigstens hellgrau. Ich würde
lügen, wenn ich behauptete, dieser Schwall an positiver Energie gehe spurlos an
mir vorbei. Im Gegenteil, ich genieße ihn in vollen Zügen. Vielleicht ist es
sogar das Schönste an den ersten beiden Jahren mit den Kindern. Die unentwegt
lächelnden Menschen erinnern mich stets daran, dass meine Kinder gar nicht so
schlimm sein können. Wie sonst könnten sie die dicken Zöllner am Flughafen so
sehr zum Lachen bringen, dass ihre Hosen ins Rutschen geraten und die Männer sie
sich wie einen Hula-Hoop-Reifen wieder bis unter die Achseln ziehen müssen.
Warum sonst kämen wildfremde Frauen mit Backwaren und Bonbons angetrabt? Warum
würde jeder noch so hektische Börsenmakler seinen guten Anzug schmutzig machen,
um die Monster samt Wagen die U-Bahn-Stufen hochzutragen?
Nein, so viele Menschen können nicht irren.
Andere Kinder zu mögen ist der erste Schritt zu wahrer
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