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Papa ante Palma

Papa ante Palma

Titel: Papa ante Palma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Keller
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Nacken. Den
Nacken vergisst du immer«, grummelt Lucia.
    »Aye, aye, Sir, äh, Madam«, erwidere ich.
    Kinder sind per se süß und gehören automatisch
geliebt. Das heißt allerdings auch, dass man an keinem Kinderwagen vorbeigehen
darf, ohne sich ein gezwungenes Lächeln abzuringen. Die Eltern-Community verhält
sich da genauso wie die Hundebesitzer.
    »Sophie! Nicht dem Papa Sand ins Gesicht
werfen!«, brüllt Lucia.
    »Ach, lass nur. Ich … bin gerade
eh …«
    Das Spiel geht so: Wenn du lächelnd in meinen
Kinderwagen schaust, dann grinse ich auch in deinen rein. Selbst wenn darin ein
schwitzender Mops liegt, der aussieht wie ein Politiker kurz vorm Ruhestand.
Egal, erst grinsen und dann nach dem Namen fragen. Zugegeben, ein heikler
Punkt.
    Frage: »Wie heißt sie denn, die Kleine?«
    Antwort: »Er heißt Nepomuk.«
    Den leichten Fauxpas am besten einfach übergehen
und weiter grinsen. Verlorenen Boden kann man auf jeden Fall gutmachen, indem
man sich noch schnell nach dem Alter erkundigt. Die Frage ist selbstverständlich
rein rhetorischer Natur, denn egal, was die Eltern sagen, die Antwort lautet:
»Ganz schön groß für sein Alter.« Dabei meint »groß« letztendlich ein vitales,
quietschfideles Baby, das eine glänzende Zukunft vor sich hat, weil es allen
anderen ein Quäntchen voraus ist und kein vollgestopftes Michelin-Männchen, das
von den gängigen Wachstumstabellen der Kinderärzte nicht mehr erfasst werden
kann. Verabschiedet man sich dann noch mit einem gesäuselten »süß«, zeigt es,
dass man selbst unglaublich glücklich und zufrieden mit seinen Kindern ist und
daher auch alle anderen niedlich findet. Kurz, dass man Kinder liebt.
    Kinder bedeuten aber auch: kein Fußballspiel mit
Einheimischen an einem karibischen Strand. Kein Sex mit einer Brasilianerin in
einer Passfotokabine irgendwo in São Paolo. Kein Fremder, der einen im Zug
anspricht und zu einem Fest mitnimmt, wo man dann bis in den Morgen hinein
unbekannte Lieder singt.
    »Steve! Steeeve! Träumst du?«
    »Wer? Was? Ja, hallo. Bin fertig, alles perfekt
eingeschmiert. Dein Rücken glänzt wie ein Spanferkel«, sage ich schnell.
    »Dafür bist du schon ziemlich rot im Gesicht«,
bemerkt Lucia kritisch.
    Nichts, aber auch gar nichts von all dem kann
einem je dieses Glücksgefühl oder diesen Frieden geben wie der plärrende,
stinkende Krümel, den man gerade vor sich herschiebt. Kinder sind das Schönste
auf der Welt. Wer das anders sieht, ist ein egoistischer, menschenfeindlicher,
unsensibler Blödian. Also grinsen.
    Vielleicht geht es hier aber auch gar nicht um
Kinder. Vielleicht sind sie nur Platzhalter, und man sollte das Lächeln lieber
ein paar Zentimeter weiter nach oben richten. Auf die Gesichter all der Paare
mit Ringen unter den Augen, die nicht mehr regelmäßig vögeln und sich tagtäglich
zu erinnern versuchen, wie das Leben eigentlich vorher war, ohne Kinder. Also
zum Beispiel auf mein Gesicht.
    Wie auch immer. Selbst die bedingungslose
Kinderliebe bringe ich nicht auf.
    Damit ich sie mag, müssen fremde Kinder von sich
aus zumindest ein zaghaftes Interesse an meiner Person signalisieren, selbst
wenn nicht ich, sondern jemand anderes die Chipstüte auf den Knien hat.
Natürlich muss auch der Terrorfaktor erträglich sein. Schreiende Kinder mag
niemand. Zudem braucht das Kind ein gewisses Maß an Attraktivität und einen
annehmbaren Geruch. Wenn man so will, sind das alles nichts weiter als die
notwendigen, wenn auch nicht immer hinreichenden Kriterien, die ich genauso an
einen Erwachsenen stelle, wenn ich ihn mögen oder gar lieben soll.
    »Im Büro ist es heute mal wieder drunter und
drüber gegangen«, startet Lucia einen weiteren Versuch, mit mir ins Gespräch zu
kommen. »Zwei Mailings, drei Flyer und ein fetter Bock bei der
Druckabnahme.«
    »Hmm«, sage ich nur.
    Wenn ich also noch nicht mal Liebe für andere
Kinder aufbringen kann, wie ist es dann mit meinen eigenen?
    Allmählich müsste ich mal den Punkt der wahren
und völlig reinen Liebe erreicht haben. Immerhin sind die Kinder im Bestfall aus
Liebe entstanden. Sie tragen Merkmale des Partners, den man liebt. Sie sind
vermutlich das Einzigartigste und Lebendigste, was ein Mensch in seinem Leben
schaffen kann. Sie halten unsere Launen aus und erkämpfen sich jeden Tag ein
kleines Stück Geschick und Individualität. Sie sind der Arm, der über unser
eigenes Ableben hinausreicht und uns ein wenig weiterträgt. Natürlich nur im
Best-case-Szenario.
    »Das

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