Papa ante Palma
damals zu Weihnachten Mamas Nylonstrumpfhose übers Gesicht gezogen und in der Nachbarschaft die leuchtenden Tannenbäume ausgedreht. Im Schwimmbad bin ich mit meinen Freunden unter reifen Dorfmedusen entlanggetaucht, um die unvermeidliche Anziehungskraft schwarzer Löcher zu begreifen. Und das war nur die Spitze des Eisberges.
Ach, es war wunderbar! Diese stetig nassen Wälder und feuchten Wiesen, in die man sich nie setzen durfte, weil die Jeans am Arsch immer grün wurde und einem irgendwann Nacktschnecken die Fersen hochkrochen. Oder die Fußgängerzonen mit den hölzern vorbeilaufenden Passanten und den muffigen Spelunken, in denen Bluthochdruckgesichter mit Erdbeernasen auf den nächsten Kurzen warteten, eingefasst vom verklinkerten Idyll aus selbstgerechtem Spießertum.
Kann man so etwas nicht mögen? Ich habe es wirklich gemocht, trotz all der Abgründe – oder vielleicht genau deshalb. Natürlich nur in überschaubaren Dosen.
Dann ist da auch noch das andere Deutschland. Der Prenzlauer Berg mit den modernen Gewinner-Eltern. Sie Designerin, die in ihrer Freizeit Lachyoga-Kurse gibt, er Fotograf. Beide sehen aus, als kämen sie gerade aus dem Bett, dabei haben sie für das Styling mehrere Stunden gebraucht. Hier noch schnell das neue iPhone, da noch kurz eine Ausstellung über den Holocaust und danach ins Programmkino, natürlich nur in Filme in Originalfassung. Danach Erasmus- PEK iP und der dreisprachige FKK -Kindergarten mit Hanfspielzeug aus Neuseeland. Abends kommen dann Freunde, die nicht nur genauso aussehen, sondern auch alles genauso sehen. Zum Essen gibt es Bio-Sushi und dazu ein bisschen isländischen Jazz. Toll.
Gut, es ist vielleicht nicht alles toll an Deutschland. Wenn ich die grauenhaften Statistiken zusammenfasse, die man aus den Zeitungen kennt, dann sind die Deutschen die dicksten, alkoholsüchtigsten und kinderärmsten Menschen in ganz Europa. Die wenigen Kinder, die in Deutschland leben, sind schulisch gesehen nichts weiter als Mittelmaß. Außerdem sind sie zu fett und ganz weit vorne in Europa, wenn es um Alcopops und Tabak geht. Alles Dinge, die sich bei den ebenso zeugungsunwilligen, dafür aber schlankeren Spaniern noch nicht herumgesprochen haben. Hier sind wir laut Pau nichts weiter als kleinkariert.
Aber ich gebe es offen zu: Ich mag Deutschland. Das ist mir in den ersten Monaten hier auf der Insel klargeworden. Vielleicht mag ich dieses Land aus der Distanz sogar mehr als aus der Nähe, aber ich mag es. Nicht weil wir angeblich die besten Autos bauen, bei sämtlichen Gewehrsportarten Weltspitze sind oder die höchsten Sozialleistungen zahlen, sondern weil es unter all den cuadriculados , den Dicken und Kinderlosen ebenso wie unter den Schluckspechten, viele humorvolle, kreative Leute gibt, die etwas bewegen wollen.
Vor gar nicht allzu langer Zeit sagte ein Mallorquiner auf dem Spielplatz zu mir: »Wenn du etwas über die Deutschen lernen willst, musst du zum Ballermann.«
Bisher haben Lucia und ich das Thema irgendwie vermieden, obwohl wir den berühmt-berüchtigten Strandabschnitt bei vielen unserer Spaziergänge sehen konnten. Man muss nur von einer etwas höher gelegenen Stelle mit Blick die hufeisenförmige Bucht vor Palma entlangschauen, dann kann man Arenal in der Ferne funkeln sehen.
Vor meiner Ankunft auf Mallorca bin ich davon ausgegangen, Palma sei ein Stadtteil vom Ballermann und in dieser Verballhornung des Ortsnamens schwinge noch etwas Größeres mit. Eine Art Mekka des schlechten Geschmacks, das seinen Schatten über die ganze Insel wirft. Ein Epizentrum des ordinären und phantasielosen Urlaubs, dessen Höhepunkt nur eine Fahrt auf einer am Seil gezogenen Luft-Banane sein kann. Ein Abbild des degenerativen Unterschichts-Kultur-Imperialismus, möglich gemacht allein durch die – ökologisch gesehen – unverschämte Preispolitik der Airlines und den Zwang der Hoteliers, ihre Bettenburgen vollzubekommen. Letztlich ist der Ballermann aber auch der Grund, warum fast keiner meiner Freunde und Bekannten jemals nach Mallorca geflogen ist. Für andere ist es wiederum der alleinige Anlass, um hinzufliegen.
»Heute geht’s zum Ballermann«, flöte ich eines Morgens beim Frühstück und reibe mir die Hände. »Wenn man das Leben begreifen will, dann muss man da mal hingehen. Dann haben wir es wenigstens hinter uns. Selbst wenn wir nackt und vollgekotzt wiederkommen!«
»Ich bin mal gespannt«, sagt Lucia nur. »Wahrscheinlich treffen wir dort halb
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