Papa ante Palma
wiederherstellen,
neutralisieren und harmonisieren und so ein Gefühl von Wohlbefinden, Harmonie
und Reinheit hervorrufen«, gibt Jochen mir Kontra.
»Ja, aber was soll so schlimm daran sein, dass
die alte Frau zu Hause gestorben ist? Immer noch besser als in einem keimfreien
Altenstift unter Fremden. Wenn man sich nirgends mehr aufhalten kann, wo
irgendwann mal jemand gestorben ist, dann bliebe nicht viel Platz übrig für die
knapp acht Milliarden Menschen auf der Welt, oder?«
»Ich wollte es ja nur angemerkt haben. Nicht dass
es nachher Tränen gibt«, bringt Jochen etwas sauertöpfisch vor.
»Zur Kenntnis genommen. Okay, könnten wir jetzt
bitte über was anderes reden, die neue Dream Theater vielleicht?«, versuche ich die Unterhaltung in eine andere Richtung zu
lenken.
»Gerne.«
Vierzig Minuten später haben wir die neusten
Scheiben, Filme und Bücher messerscharf rezensiert, sind den alten Freundeskreis
einmal komplett durchgegangen und haben über die Entwicklung der Zwillinge
gefachsimpelt. Ich genieße die Telefonate mit Jochen sehr. Nicht zuletzt, weil
ich mich mühelos in meiner Muttersprache bewegen kann, ganz ohne inneres
Übersetzen, Zurechtlegen oder Gestottere.
In der folgenden Nacht schlafe ich sehr unruhig.
Im Traum fahre ich erneut nach Alaró, nur sitze ich diesmal alleine im Auto.
Gut, es ist gar kein richtiges Auto. Ich schwebe im Schlafanzug in der typischen
Fahrerpose in einem unsichtbaren Chassis über dem Asphalt und halte ein
imaginäres Lenkrad in den Händen. Um mich herum ist alles in einen sanften
Sepiaton getaucht, wie auf einer Schwarzweißfotografie, über die jemand Kaffee
geschüttet hat.
Bei der Einfahrt ins Dorf erkenne ich zwei Reihen
von Menschen, deren Hände so ineinander verschränkt sind, dass sie mit ihren
Armen eine Gasse aus lauter kleinen Dächern bilden, wie bei Hochzeiten, wenn das
Brautpaar darunter hindurchtanzen soll. Als ich das erste Dächlein passiere,
erkenne ich die beiden Frauen rechts und links neben mir sofort. Es sind Marta
und Montserrat. Auch die nächste Paarung kommt mir bekannt vor: Magdalena und
die stille Aina. Allerdings sehen sie alle nicht mehr so gütig und freundlich
aus wie bei der Vertragsunterzeichnung.
Ihre Gesichtszüge sind merkwürdig verlaufen, so,
als wären sie aus feuchter Tinte und jemand hätte mit dem Ärmel darübergewischt.
Auch die dunklen Münder wirken zerfranst und zu einem übertrieben clownesken
Grinsen verzogen. Die Köpfe nicken lose im Takt, wirken wie angenäht auf den
welken Hälsen. Plötzlich erhebt sich ein vielschichtiges Stimmengewirr. Zunächst
noch leise und undeutlich, fallen die unterschiedlichen, teils fiepsigen, teils
tiefen Stimmen in den Rhythmus ein. Allmählich … kann ich den Text
entschlüsseln.
»Cuadriculados …
cuadriculados … cuadriculados … cuadriculados« , skandieren
sie und werden immer lauter und schneller.
Immerfort zieht sich der Reigen aus den
unheimlichen Schwesterpaaren. Ich würde gerne schneller fahren und einen Gang
hochschalten, doch während alles andere an dem Auto bloß unsichtbar ist, fehlt
die Gangschaltung tatsächlich. Also krieche ich weiter im Schritttempo durch die
Geisterbahn, begleitet von der grausamen Parole. Aus dem anfänglichen Nicken der
Schwestern ist inzwischen ein starkes lebloses Schlackern geworden. Ein paar
Meter noch, bis zum Ende des Tunnels. Da lösen sich die Köpfe der Schwestern mit
einem lauten Plopp und fliegen katapultartig über mir in die Luft, wie
Doktorhüte auf einer Graduationsfeier. Einige davon prasseln auf das
durchsichtige Dach des Wagens und von dort in den Rinnstein, wo sie munter
weiter »Cuadriculados … cuadriculados« plärren.
Dann ein Schnitt, wie es ihn nur im Traum geben
kann. Deshalb mag ich Träume. Wegen der Schnitte. Man muss nicht jedes Mal ewig
mit dem Bus von A nach B fahren, um was zu erleben, sondern es kommt ein
Schnitt, und schwups ist man da. In diesem Fall spare ich mir eine Fahrt von
ungefähr zweihundert Metern Luftlinie und stehe direkt in der Eingangshalle
unseres zukünftigen Dorfhauses. Es ist still, dunkel und kalt, genau wie bei der
ersten Besichtigung.
»Hola?« , rufe ich.
»Ist da jemand?«
Nur ein kurzer Nachhall, sonst nichts. Irgendwas
sagt mir, dass ich dennoch nicht alleine bin.
» Holaaa! Soy yo, el
alemán , ich bin’s, der Deutsche«, flöte ich melodiös gegen die Angst
an.
Da höre ich ein leichtes Schaben, als ob jemand
mit den Fingern an einer Wand kratzt. Dann
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