Papa ante Palma
einzigen Raum, in dem
etliche quadratische Bistrotische mit gusseisernen Gestellen und weißen
Steinplatten stehen. Darauf Papierservietten in roten Spendern. Neonröhren
leuchten den Raum ungnädig bis in den letzten Winkel aus, im Eckfernseher läuft
irgendein Tennisspiel mit Rafael Nadal, dem Vorzeige-Mallorquiner.
»Mann, die Spanier haben’s echt nicht so mit der
Gemütlichkeit, was?« Jochen schaut sich befremdet um.
»Nee, aber die sitzen eh meistens draußen. Warum
dann noch die Räume nett herrichten?«, mutmaße ich.
Der Kellner kommt an unseren Tisch. Wollte man
Langweile malen, müsste man nur sein Gesicht skizzieren.
»Die Speisekarte, bitte.«
Ohne zu antworten, verschwindet er wieder, holt
zwei versiffte Kunstledermappen aus einem Fach an der Theke und knallt sie vor
uns auf den Tisch.
»Gracias.«
Die Karte ist dreisprachig: Mallorquí, Spanisch,
Deutsch.
Plötzlich lacht Jochen laut los.
»Was ist?«, frage ich, während ich noch
blättere.
»Na, hier, die Nummer elf. Schweinefleisch-Leiste
plus baguette des Huhnes, wird mit Tomate, caramilzed Zwiebeln und Salat
gedient.«
»Tatsache!«, schreie ich und sehe es dann
auch.
»Ach, ich glaube, ich nehme die vierzehn: Eier
Schluss gemacht Schinken.«
»Aber nur, wenn ich dich danach zu der
einundzwanzig einladen darf: Kalbfleisch-Fleisch, pepperoniand Würste wich Chili
und Klumpen von Kartofl.«
Wir bekommen einen Lachanfall. Einen von den
echten, bei denen alles erlaubt ist. Selbst heulen.
»Also entweder arbeitet hier ein
Fünf-Sterne-Avantgarde-Koch, oder sie haben irgendeine von diesen
Internet-Übsetzungsmaschinen benutzt.« Jochen nimmt die Brille ab und reibt sich
die Tränen aus dem Gesicht.
»Schön, dass du da bist«, sage ich.
»Ja, ich freue mich auch.« Er macht eine Pause,
klappt die Karte zu und sagt: »Du bist immer noch der Alte, nur brauner.«
»Du und die anderen Jungs, ihr fehlt mir hier
schon sehr. Telefon, Chat, E-Mail, das ist lange nicht dasselbe.«
»Kein Vergleich«, bestätigt Jochen. »War gar
nicht so leicht für uns, als ihr gegangen seid.«
»Wieso, was meinst du?«
»Na ja, wir alle haben es dir natürlich gegönnt,
aber ein bisschen Neid war schon auch im Spiel. Zuerst Lucia, dann das Studio,
dann die Zwillinge und jetzt auch noch Mallorca. So viel Glück kann ein
einzelner Mensch doch gar nicht haben.«
»Ach, Herr Doktor, Sie kennen mich doch. Bei mir
hängt die Unzufriedenheit am Abschleppseil des Glücks. Immer nur ein paar Meter
dahinter. Sobald das Glück auch nur kurz bremst, knallt die Unzufriedenheit
gleich hinten drauf.«
»Klingt ganz so, als hättest du Deutschland noch
nicht wirklich verlassen«, konstatiert Jochen lachend.
»Nein, das sitzt zu tief«, gebe ich zu, »aber wer
weiß, vielleicht kann ich das ja von den Mallorquinern lernen. Weniger zu wollen
und mehr zu genießen. Die Leute hier wirken irgendwie vitaler und zufriedener
als in good old Germany.«
»Ich wünsche es dir jedenfalls«, sagt er.
An einem Tisch im hintern Teil des Restaurants
setzt plötzlich ein Pfeifen ein:»Tea for two and two for tea.«Der Mann ist mir vorher gar nicht aufgefallen.
Er ist um die fünfzig, auf dem Kopf stoppelige Haare und auf der rotbraunen,
ledrigen Haut einen grauen Zehntagebart, der aussieht, als könne man sich daran
übel verletzen. Er trägt ein weit aufgeknöpftes Hemd sowie eine beigefarbene
Bundfaltenhose. Dazu Mokassins, ohne Socken. Zunächst schaut er nur zu uns
herüber, dann steht er auf und kommt her.
»Ick höre, ihr seid och Deutsche?«
»Äh … ja«, antwortet Jochen zögerlich,
während ich den Kopf schüttele.
»Ick hab mitjekricht, wie ihr eusch über die
Karte beeumelt habt. Ick kann dit och nich begreifen. In Alaró lebn fast
zweehundert Deutsche, und uff die Idee, mal eenen zu fragen, komm se nich. Ick
bin übrijens Wolfgang«, sagt Wolfgang und setzt sich. »Aber kochen, dit kanner,
unser Ferran«, fügt er hinzu. »Also mehr oder wenijer. Ick empfehle die sieben: frito mallorquín , det sind Lamm- und
Ziegeninnerein mit Kartoffeln und Paprika. Oder die achtzehn, tumbets , det issn deftiger Eintopf mit Obaschin.«
»Ich hätte eher Lust auf einen guten Fisch«, sagt
Jochen.
»Uiiii«, Wolfgang dreht mit der Hand eine
imaginäre Glühbirne in eine imaginäre Fassung, »dit wird schwer. Wir sind hier
zwar mitten im Meer, aba die Mallorquiner essen jerne deftisch, mit viel Fleisch
und Kartoffeln, vor allem hier inne Inselmitte.«
»Okay, wir probieren es
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