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Papa ante Palma

Papa ante Palma

Titel: Papa ante Palma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Keller
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verstummt es wieder.
    »Hola?« , rufe ich
erneut.
    Wie zur Antwort setzt das Kratzgeräusch kurz ein,
um Sekunden später wieder abzubrechen. Es kommt eindeutig von oben. Mit der
rechten Hand nehme ich einen schweren Messingtopf aus einer der Vitrinen und
schleiche langsam die Treppe hoch. Meine Beine sind bleischwer und die Stufen so
kalt, dass ich die nackten Zehen einrolle. Je weiter ich die Treppe
hinaufsteige, desto deutlicher ist der eigenartige süßliche Geruch nach
vergorenem Obst wahrzunehmen.
    »Hola?« , rufe ich, um
das nächste Kratzen zu provozieren und es orten zu können.
    Keine Antwort. Von der Treppe gehe ich in das
Durchgangszimmer und schalte das Licht ein. Der Raum erscheint mir viel höher
als in meiner Erinnerung, und noch eine Veränderung fällt mir auf. Die
zugemauerte Tür ist wieder an ihrem Platz. Das gärige Fruchtbukett in der Luft
ist hier beinahe unerträglich.
    Der Topfgriff schneidet mir in die Handflächen,
als ich noch mal rufe.
    Jetzt kratzt es ganz klar und deutlich. Gleich
vor mir. Es muss hier sein. In diesem Raum. Und ja, es kommt von besagter
Tür.
    Ich versuche, irgendwie auf den Traum
einzuwirken, zurückzuweichen, einfach zu gehen, doch mit der linken Hand
umschließe ich bereits den elfenbeinfarbenen Türknauf, während ich mit der
anderen den Topf zum Niederschlag bereithalte. Die Tür lässt sich mühelos öffnen
und springt, als hätte sie nur auf eine Berührung gewartet, sofort auf. Nach und
nach fällt das Licht in einen düsteren Treppenaufgang, wo auf einer der unteren
Stufen zu meiner grenzenlosen Überraschung Pau sitzt. Das Gesicht grotesk zur
Geisha geschminkt, trägt er eine volkstümliche Tracht mit Weste, hochgezogenen
Stutzen und Bändchen an den knielangen Hosenbeinen. Mit dem Fingernagel kratzt
er apathisch an einem Bild auf der vor ihm aufgebauten Staffelei herum, das eine
Obstsschale mit wurmstichigen Früchten zeigt.
    »Pau!«, sage ich, halb besorgt, halb verärgert,
und lasse die Hand mit dem Topf sinken.
    Unser Nachbar schabt unbeirrt weiter. Schließlich
nimmt er den Zeigefinger von der Leinwand und deutet teilnahmslos auf meine
linke Schulter. Zögernd drehe ich leicht den Kopf zur Seite, doch meine Schulter
sieht völlig normal aus. Fragend blicke ich zurück zu Pau. Genau genommen zeigt
sein Finger nicht auf die Schulter, sondern leicht darüber hinweg. Als ich den
Kopf diesmal weiter nach hinten drehe, ist es schon zu spät. Aus den
Augenwinkeln erkenne ich gerade noch, wie jemand im Nachthemd und mit weit
aufgerissenem, zahnlosem Schlund auf mich zustürzt.
    » AHHH ! Huiii! Shit!«,
stöhne ich und merke, dass das Bettlaken unter mir völlig durchgeschwitzt
ist.
    »Was ist?« Lucia ist ebenfalls hochgeschreckt und
macht das Licht an.
    »Irgendwie habe ich schlecht von dem Haus,
unseren Vermieterinnen und der toten Oma geträumt«, stammele ich atemlos wie
nach einem Sprint. »Jochen! Er faselte am Telefon von negativen Energien, und
dass man irgend so eine Geisteraustreibung vornehmen müsse. Vielleicht ist da ja
doch was dran.«
    »Was? Jetzt komm schon, er hat dir einen Floh ins
Ohr gesetzt, und du hast das irgendwie weitergesponnen. Kopfkino«, entschärft
Lucia meine Gedanken und legt den Arm um mich. »Rosa war die gute Seele des
Dorfes, wenn überhaupt, dann ist sie ein guter Geist.«
    »Ja, du hast sicher recht. Logisch. Gute Frau ist
gleich guter Geist. Hätte ich ja auch mal selbst draufkommen können. Nein, ich
freue mich wirklich auf das neue, alte Haus. Es war nur so … so echt. Ach,
egal.«
    »Gute Nacht, cariño. Te
quiero .« Lucia schaltet das Licht wieder aus.
    Ich muss Jochen anrufen, und jetzt vergiss die
Oma, denke ich noch leicht aufgewühlt und starre ins Schwarze. Stell dir lieber
was Erbauliches vor. Los! Ich schließe die Augen. Wie auf Kommando wirft mein
inneres Auge eine Projektion von Luna und Sophie auf die schwarze Leinwand
meiner Augenlider.
    Mit einem langsamen Seufzen entschwinde ich
endlich in des Schlafes Reich.
    Am folgenden Abend sitze ich am Computertelefon
und überrede Jochen, statt wie geplant nächsten Monat schon nächsten Freitag zu
kommen. Zu meiner grenzenlosen Erleichterung kann er es einrichten und sagt
spontan zu.
    Vier Tage später stehe ich am Flughafen und warte
auf Jochen, dessen Maschine pünktlich landet. Als sich die Milchglastür zwischen
Kofferausgabe und dem Wartebereich öffnet, entdecke ich ihn sofort. Irgendwie
wirkt er blasser und hagerer, als ich ihn in Erinnerung habe. Er

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