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Papa ante Palma

Papa ante Palma

Titel: Papa ante Palma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Keller
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überschütteten, während
er sie anhatte. Waschen durfte er die Kutte übrigens nie. Das gebot der
Codex.
    Jochen war damals der Einzige von uns, der nach
Metal aussah. Wir anderen hätten auch bei der Münchner Freiheit spielen können.
Außerdem war er der Schlauste von uns, beste Noten bei geringstem Aufwand. Der
Vater Hirnchirurg, die Mutter Verlagsleiterin. Er ein wandelndes Lexikon. Ein
wandelndes, extrem haariges Lexikon. Ein wandelndes, extrem haariges Lexikon in
einer viel zu engen Jeans. Ein wandelndes, extrem haariges Lexikon in einer viel
zu engen Jeans und einer stinkenden Kutte. Das war Jochen.
    Heute arbeitet Dr. Jochen Buchholz als
Psychiater am Klinikum Wolfsburg. Er ist sehr gut in seinem Job und räumt einen
Wissenschaftspreis nach dem nächsten ab. Die Haare sind ihm unlängst
ausgefallen, und seine Körperhygiene sucht ihresgleichen. Seine Hobbys, die
halbjährig wechseln, sind neben Mathematik auch Geomantie, Fengshui,
Okkultismus, Wing-Chun sowie Internet-Blind-Dates, Ultraleichtflug, die Mongolei
und Stepptanz. Jochen ist für mich nicht nur ein guter Freund, sondern auch wie
ein Attest für ein anderes Leben. Eines, in dem wir damals nach unseren
Konzerten kichernd an den Pissrinnen der Kneipen standen, als die Welt noch
nichts kostete und obendrauf bar jeder Verpflichtung, jedes Planes und jeder
Wiederholung war.
    »Jochen, alte Wursthaut, was geht in Wolfsburg?«,
lautet meine stets gleiche Eröffnung.
    »Nix, aber das volles Brett«, kontert Jochen für
gewöhnlich.
    Im nächsten Moment sehe ich ihn kurz vor mir, wie
er hinter seinen hundert Becken und Toms das Haar hin und her wirft und mit dem
Stick wahre Kunststücke vollbringt. Er ist dann ziemlich weit entfernt von dem
überregional bekannten, glatzköpfigen Arzt mit Brille und dem weißen Kittel, in
dessen Brusttasche Kugelschreiber stecken.
    Auch heute bleiben wir uns treu.
    »Jochen, alte Wursthaut, was geht in
Wolfsburg?«
    »Nix, aber das volles Brett.«
    Wir lachen.
    »Erzähl mir lieber, was es bei euch auf der Insel
so neues gibt. Habe eben bisschen gegoogelt, ihr habt es ja ziemlich mollig
warm.«
    »Na ja, siebenunddreißig Grad sind es hier in der
Stadt schon. Der Asphalt glüht förmlich. Ehrlich gesagt, mir ist es schon fast
zu warm.«
    »Ja, was denn nun? Der Winter zu kalt, der Sommer
zu heiß. Dir kann man es aber auch nie recht machen«, stichelt Jochen.
    »Ja, irgendwie wird Mallorca wettermäßig total
überschätzt. Richtig gut aushalten kann man es eigentlich nur im Mai, Juni und
September«, stelle ich erschrocken fest. »Aber es gibt auch gute Neuigkeiten:
So, wie es aussieht, sind wir Pau bald los, unseren nervigen Nachbarn.«
    »Was, zieht der aus?«
    »Nein, aber wir. Wir haben ein altes, charmantes
Dorfhaus in einem Ort namens Alaró gefunden. Hat ’ner Oma gehört, die vor einem
Jahr gestorben ist«, berichte ich hochgestimmt.
    Stille am anderen Ende der Leitung.
    »Hallo!«, rufe ich in den Hörer. »Jochen, bist du
noch da?«
    »Ja«, sagt er ungewöhnlich gebremst.
    »Was sagst du dazu? Klingt doch toll oder?«
    »Steve, jetzt mal ganz ehrlich. Du willst mich
verarschen, oder?«
    »Nein, es ist wahr, wir können es selbst kaum
fassen, nach dem ganzen Mist, den wir uns hier angeschaut haben.«
    »Steve«, Jochens Stimme klingt nun gemahnender,
»ich meine nicht das Haus, sondern die Oma.«
    »Die Oma? Was ist mit ihr?«, frage ich baff.
    »Ist sie in dem Haus gestorben?«, vergewissert
sich Jochen.
    »Kann sein.«
    »Dann könnt ihr so auf keinen Fall da einziehen«,
bestimmt er. »Ihr müsst erst ein Clearing vornehmen.«
    »Ja, schon klar, dass wir da erst mal durchputzen
müssen.«
    »Du verstehst mich nicht. Im Haus könnte es
Interferenzen geben. Negative Energien«, alarmiert er mich.
    »Du meinst Geister?«
    »Wenn das andere für dich zu abstrakt ist,
ja.«
    »Ach, komm schon, Dr. Buchholz, wie oft
haben wir uns schon über den Esoterikkram in den Haaren gehabt. Du weißt doch,
dass ich damit nichts anfangen kann. Ich finde alle anderen Hobbys von dir
besser, die Mongolei zum Beispiel.«
    »Arsch!«
    »Ich behaupte ja gar nicht, dass es all das nicht
gibt«, fahre ich fort, »aber ich habe mit den Zwillingen schon genug zu tun und
keine Lust, mir das Leben mit diesem Kram noch zusätzlich zu erschweren.«
    »Du erschwerst es dir eher, wenn du dich nicht
damit auseinandersetzt. Ich würde im Leben nicht in dieses Haus einziehen. Ein
Clearing würde die Strukturen des energetischen Feldes

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