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Papa ante Palma

Papa ante Palma

Titel: Papa ante Palma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Keller
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setzt sich das Headset auf. Ein
Knopfdruck, und ihre Leitung ist freigeschaltet. Es klingelt, und ein Mann ist
dran, irgendwo am anderen Ende der Welt. Im Hintergrund sind Bohrmaschinen und
Kindergeschrei zu hören. Dieser Mann bin ich.
    In Momenten wie diesem frage ich mich, warum die
Welt so ist, wie sie ist. Warum wir uns selbst von allem wegführen, was mit uns
zu tun hat. Warum wir nicht mehr alle nackt in einem Wigwam sitzen und Lieder
singen. Diese Fragen werfen mich auf den Nukleus meines Daseins zurück: amor , Liebe, love .
    Auf einmal werde ich ganz ruhig, sehe Sophie und
Luna an. Sie stehen vor mir. Verheult und verzweifelt. Wenn die Welt für mich
zuweilen schon vertrackt und sinnlos ist, wie muss es dann erst für sie
sein?
    »I will call you back,
Mandy … or not« , flüstere ich in den Hörer.
    »I am not Mandy. I
am …« , tönt es noch aus der Muschel, bevor ich das Gespräch mit
einem Tastendruck beende und den Hörer weglege.
    »Kommt her, meine Engel«, sage ich zu den Kindern
und schließe sie in die Arme.
    »Wenn jemand meine Kreditkarte in irgendeinem
Geschäft benutzen will, kommt jetzt zwar nicht die Polizei, aber sie werden ihn
tüchtig auslachen, bei meinem Kontostand.« Ich lächle zwischen ihren Köpfen
hindurch. Die beiden sind etwas verschwitzt von der vielen Heulerei.
    »Ich bringe euch jetzt erst mal zum Hort. Alles
andere kann warten.«
    »Meine Tasche«, sagt Luna, »oben.«
    »Na gut, ich hole sie dir schnell.«
    Ich springe mit ihr auf dem Arm und Sophie an der
Hand die Treppe hoch, vorbei am Muränenmann, der gerade irgendwelche Kabel ins
Kinderzimmer zieht. In der Mitte des Raumes erhebt sich ein pyramidenförmiger
Berg von Klamotten, auf dessen Gipfel Lunas Tasche thront. Gleich darunter liegt
etwas, das mir sehr bekannt vorkommt: meine Hose. Die dritte. Ich nenne sie den
»Kneifer«, weil darin mein allerheiligstes Dreigestirn so eng eingeschnürt wird
wie ein Meisenknödel.
    Den Kneifer ziehe ich nur im größten Notfall an,
etwa wenn die anderen beiden Hosen in der Wäsche sind und ich niemanden treffen
muss. Schon als ich den Kneifer anhebe, ist er unnatürlich schwer, zudem wirkt
die Seitentasche etwas ausgebeult. Ein Griff hinein, und die Sachlage ist klar:
Der Kneifer war’s. Eine fast kindliche Freude überkommt mich, und es fühlt sich
ein bisschen so an wie damals, als ich an Weihnachten die Carrera-Bahn bekommen
habe. Die vierspurige. Mit Rennwagen, die kleine Scheinwerfer hatten und einfach
so die Spur wechseln konnten.
    Auf dem Weg nach unten wedele ich dem Muränenmann
mit der Brieftasche zu und klopfe ihm im Vorbeigehen damit auf die Schulter.
    »Joder« , sagt er und
freut sich kein bisschen.
    Unten ist Vicens bereits dabei, das Schloss
auszuschrauben.
    »Vicens, warte!«, rufe ich hastig. »Ich habe die
Sachen gefunden, es hat doch niemand was geklaut. Sieht ganz so aus, als hätte
deine Frau recht gehabt. Tut mir leid, dass ich euch … na ja, verdächtigt
habe.«
    Vicens lässt sofort von der Tür ab, läuft auf
mich zu und legt mir brüderlich die Hände auf die Schultern. »Schon gut. Dios mio , ich hätte mich sonst wirklich für die Leute
hier geschämt.«
    »Gut, dann bringe ich jetzt mal die Kinder weg.
Bin gleich wieder da.«
    »Vale« , sagt er und
lächelt.
    Der Weg zur escoleta , dem neuen Kinderhort, ist nicht sehr lang, vielleicht
fünfhundert Meter. Kein Vergleich zu El monito in
Palma, da waren es einige Kilometer. Doch die paar Meter haben es in sich, zumal
ich mich gegen den Kinderwagen entscheide und mit den Zwillingen laufe.
    Zunächst läuft alles prima. Die Sonne erhebt sich
langsam von Osten her und beschattet die engstehenden gassenartigen Sträßchen
aufs Angenehmste. Wie sandfarbene Bänder fassen die kleinen, freundlichen
Dorfhäuser den Asphalt ein, unterbrochen nur von den grünen persianas , den hölzernen Fensterläden, die man hier überall sieht.
Viele Türen stehen offen und erlauben einen kurzen Blick ins Innere der Häuser,
genau wie es die vier Schwestern beschrieben haben. Die Entrees ähneln sich mit
ihren immer wiederkehrenden Elementen. Schaukelstühle, Messingtöpfe, Kommoden
und Ölbilder.
    Eine ältere Frau kommt uns entgegen. Sie hat die
klassische Kofferform. Schulter, Rumpf und Rocksaum bilden ein perfektes,
massives Viereck, aus dem zwei knöcherne Waden ragen, die jederzeit wie
Salzstangen zu bersten drohen. Ich grüße freundlich auf Mallorquí und sage: »Bon día.« Sie eiert einfach weiter, ohne uns

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