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Papa ante Palma

Papa ante Palma

Titel: Papa ante Palma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Keller
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intelligent programmiert, oder sie haben ein
paar Call-Center-Agents mit der Software gekreuzt.
    »Sir-how-can-I-help-you?«
    »Ach so. Yes, my credit card
has been stolen .«
    »Ich-wiederhole-Ihre-Kreditkarte-wurde-gestohlen.«
    »Stimmt genau.«
    »Sir-bitte-nennen-Sie-mir-jetzt-die-Kreditkartennummer.«
    »Sie haben nicht verstanden«, erkläre ich der
Maschine. »Ich habe keine Karte. Sie ist weg, geklaut.«
    »Ich-wiederhole-Ihre-Kreditkarte-wurde-gestohlen.«
    »Ja, genau. So I don’t have
number. Credit card is away , äh, gone .«
    »Sir-bitte-nennen-Sie-mir-die-Kreditkartennummer-jetzt.«
    »Hallo? Ist das hier Versteckte Kamera mit Paola und Kurt Felix?«
    »Sorry-Sir?«
    »Ich habe Ihnen gesagt, mir ist die Kreditkarte
geklaut worden, und Sie wollen die Nummer haben, die auf der Karte steht?«,
schreie ich das Ding an.
    »Richtig-Sir.«
    Ratatatatatatatatatatat, AAA mmm, Eissss, Rööönnn, Klingelingbrotz.
    Es sind dies die Momente, in denen sich in mir
die Zeit dehnt. Aus Sekunden werden Stunden. Aus Stunden Tage. Momente, in denen
ich mich wie ein Astronaut von der Raumstation abkoppele, schwerelos im All
dahindümpele und unser Sonnensystem aus der Distanz betrachte. Das Ganze wird
urplötzlich furchtbar klein und übersichtlich, so, wie auf den hinteren Seiten
eines Schulatlanten.
    Vor mir sehe ich einen riesigen, größtenteils
flüssigen Ball, der Erde heißt, und mit über einhunderttausend Stundenkilometern
durch das unendliche Weltall heizt, ohne dass irgendwas von ihm abfällt. Wobei
sich mir bei dem Wort »unendlich« kurz der Magen kräuselt. Auf dem Ball, und
offenbar nur auf diesem Ball, existieren eigenartige Lebewesen wie das Okapi,
der Kussfisch, der Nasenbär und der Mensch, die alle irgendwann aus dem Wasser
gekommen sein sollen. Wasser – auch so etwas, das ich nicht verstehe. All
diese Lebewesen rasen nun völlig isoliert und für einen überraschend kurzen
Zeitraum auf diesem Ball durchs All. Urheber? Absichten? Unbekannt. Zumindest
die Menschen haben weder eine Ahnung, woher sie kommen oder warum sie da sind,
noch, wohin sie gehen.
    Die Erde kreist um ein noch größeres bizarres
Gebilde namens Sonne, das einhundertfünfzig Millionen Kilometer von ihr entfernt
ist. In ein paar Milliarden Jahren wird die Sonne einfach so erlöschen, aber
noch sorgt sie dafür, dass wir braun werden und die Tomaten wachsen. Während
Kussfisch und Konsorten einen relativ klar vorgegebenen Tagesablauf haben, der
hauptsächlich aus reproduzieren, fressen und nicht gefressen werden besteht, hat
der Mensch sich irgendwann mal überlegt, dass er dem Räuber-Beute-Schema
entkommen könne, indem er selbst andere Lebensformen züchtet. Dann bliebe ihm
auch genug Zeit für Donkeykong , Oldtimerrallyes und
Rhönradfahren.
    Da sicher nicht alle gleich gut züchten können,
sollten nur einige wenige kultivieren, während alle anderen in einer
gestaffelten Lose-Win-Kette vom Erzeuger bis zum Konsumenten mitverdienen oder
Dinge herstellen sollten, die eine Kultivierung noch leichter und effektiver
machen. Als die Menschen aufgrund der entspannten Versorgungslage immer
zahlreicher wurden, war in diesen Ketten plötzlich kein Platz mehr. Neue Ketten
und damit neue Produkte mussten her. Aber es gab ein Problem: Alles, was die
Menschen wirklich brauchten, existierte bereits. Also erschufen sie Produkte,
die keiner brauchte, wie Nasenhaartrimmer, Bauch-Weg-Trainer, elektrische
Muttermilchpumpen, Pfefferstreuer mit eingebauter Taschenlampe und
Autositzheizungen, und beauftragten andere Menschen damit, wiederum andere davon
zu überzeugen, dass diese Produkte unverzichtbar seien.
    Damit die Menschen die Produkte, die sie nicht
brauchten, auch wirklich immer kaufen konnten, bekamen sie eine Plastikkarte mit
einer endlos langen Nummer darauf.
    Wenn diese Karte nun also, wie in meinem Fall,
geklaut wird, muss der Geschädigte irgendwo am anderen Ende der Welt anrufen. In
Michigan vielleicht. Am anderen Ende der Leitung sitzt eine Frau. Sie stellt
sich am Telefon nicht vor, aber das ist egal. Ich will sie mal Mandy nennen und
male mir aus, dass Mandy und ihr Mann Harold, der stellvertretende Leiter einer
Fastfoodkette, zwei nette Kinder haben, die Betty und John heißen.
    Heute hat Mandy Nachtschicht. In letzter Zeit hat
es viel geregnet, und die Straßen sind rutschig, deshalb fährt sie heute
langsamer als sonst und kommt genau vier Minuten zu spät zur Arbeit. Schnell
legt sie ihren Mantel ab, grüßt die Kollegen und

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