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Papa ante Palma

Papa ante Palma

Titel: Papa ante Palma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Keller
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zu
beachten.
    Dann kommt das erste Auto, die Straße herunter.
Das wird eng, denke ich, denn hier gibt es keine Bürgersteige, keine Bauminseln
und auch keine Einfahrten. Nichts, wohin man springen könnte.
    »Autooo, an die Seite!«, rufe ich.
    Der tiefergelegte Sportwagen nähert sich zügig.
Sophie bekomme ich gerade noch gepackt und ziehe sie zu mir an die Häuserwand,
Luna dagegen steht ein Fußbreit auf der Straße. Das reicht, und so touchiert der
Seitenspiegel des Wagens sie leicht am Hinterkopf. Zum Glück kommt sie mit einem
Schrecken davon.
    »He!«, rufe ich dem Fahrer hinterher und versuche
einen Blick ins Innere des Wagens zu werfen. Ich kann das Profil eindeutig
erkennen. Es ist Jaume. Der Bergsteiger und Moderator. »Nichts passiert«,
besänftige ich Luna und fahre ihr liebkosend über den Kopf. »Wir müssen hier
offensichtlich noch mehr aufpassen als in der Stadt.«
    Die Straße öffnet sich kurz und wird zu einer
pittoresken Plaza, auf der ein stillgelegter öffentlicher Brunnen thront. Ein
paar Meter weiter fällt mir ein hässlicher, fensterloser Klotz in
Schweinchenrosa auf, der so gar nicht zu den urigen Steinhäusern passen will.
Teatre Alaró steht über der Tür des Gebäudes.
    »Sogar ein Theater haben die hier«, sage ich mehr
zu mir selbst als zu den Kindern. »Vielleicht spielt Papa hier ja mal irgendwann
Gitarre.«
    Sophie lacht und gerät selbstvergessen immer
wieder auf die Straßenmitte. Das kann ja noch heiter werden.
    Wie aus dem Nichts spricht plötzlich eine laute,
verzerrte Stimme zu mir. Ich zucke zusammen und ziehe instinktiv die Kinder zu
mir heran. Was ist das denn jetzt schon wieder? Jugendliche, die Passanten
auflauern und fremde Leute durch ein Megaphon anbrüllen? Nein, dafür ist die
Stimme zu getragen und brüchig.
    Gott!, durchzuckt es mich. Das kann nur Gott
sein. Meine Stunde ist gekommen. Er will mir die Leviten lesen, für all die
Ungeduld und das viele Hadern mit den Kindern. Doch eigenartigerweise kann ich
nicht verstehen, was er sagt. Abgesehen davon scheint er nicht nur mich zu
meinen. Seine Worte hallen über das ganze Dorf hinweg und überlagern sich wie
Echos. Ich schnappe ein paar Brocken auf. Von pau ,
Friede, und déu , Gott, also ihm selbst, ist da die
Rede. Gott spricht Mallorquí! Das ist nun wirklich verblüffend. Aber warum hier?
Warum jetzt? Und wieso klingt Gott so grauenhaft verzerrt?
    Eine Drehung, dann sehe ich ihn.
    Gott ist ein Lautsprecher, der an einer Laterne
hängt. Vielmehr hängt er überall, wie mir nun auffällt, an quer gespannten
Kabeln, Dachgesimsen und Strommasten. Das ganze Dorf ist voller Lautsprecher.
Schließlich beendet die laute Stimme mit einem Klick die Ansprache, und Julio
Iglesias beschallt die leeren Straßen und Gässchen.
    Der Klang katapultiert mich zurück in eine
Umkleidekabine im Norden Spaniens, in der ich übernachtet habe, als ich vor der
Geburt der Zwillinge mit dem Rad auf dem Jakobsweg unterwegs war. Bei der Musik
habe ich sofort wieder die beiden katalanischen Pilger und den Aufseher vor
Augen. Doch bis ich den Kopf an jenem Abend auf die durchgelegene
Schaumstoffmatratze betten durfte, hatte ich eine wahre Höllentour hinter
mir.
    Dabei hatte die Strecke vom Flughafen nach
Bilbao, die ich am Tag meiner Ankunft in Spanien bewältigen wollte, auf der
Karte wie ein Katzensprung gewirkt. Schließlich war sie nur einen Fingernagel
breit, und auch so etwas wie ein Relief war nicht zu erkennen gewesen.
    Noch war ich weit entfernt von meiner Unterkunft,
als ich mit dem Rad etliche Kilometer vor den Toren von Bilbao in einer tristen,
feuchten Almlandschaft stand, deren Kuppen im Nebel verschwanden. So verbarg sie
geschickt ihre wahren Ausmaße vor mir. Die Täler hingegen lagen klar und
gelangweilt vor mir. Giftige Dämpfe stiegen ringsherum empor, und es zischte aus
löchrigen Industrieanlagen. Alte Kräne ächzten und stöhnten hie und da, nur
unterbrochen von dem Klirren aufeinanderschlagenden Metalls. Mordor. Ein Ort des
Grauens.
    Wie sollte ich hier eine spirituelle Reise
beginnen, von der ich ehrlich gesagt gar nicht genau wusste, warum ich sie
überhaupt machte? Ich wusste ja nicht mal, was das Wort spirituell eigentlich
bedeutet. Ich hatte so meine Assoziationen dazu: Schamanen, die im Bärenfell
über Feuer hüpfen oder Giftbrei anrühren. Aborigines, die in der australischen
Steppe auf einem Bein stehen und brummen. Verhärmte Manager um die sechzig, die
in schneeweißen Gewändern anfangen, an den Ufern

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