Papa ante Palma
den Käfig in die
andere Hand. So schreitet er zur Haustür. Die Kinder und ich folgen ihm zum
stillen Geleit. Auf der Türschwelle dreht der Engländer sich noch mal um und
hält kurz inne.
»Übrigens«, sagt er, »es ist ziemlich frisch hier
drin.« Langsam hebt er die Hand mit dem toten Vogel zum letzten Gruße und steigt
in den Wagen.
»Tschüs, Vivien, schlaf gut«, flüstert
Sophie.
»Wa-a-as gibt es bei euch
Neu-neu-neu-neu-neues?«, fragt Lucia mich am Abend per Skype. Die Leitung nach
Zürich ist sehr instabil und zerhackt immer wieder Sätze.
»Och, nichts, alles prima. Wir frieren, der
Papagei hat nach zehn Minuten ins Gras gebissen, und ich habe in den Armen eines
sehr dicken Engländers geweint, aber sonst alles bestens.«
»De-e-e-r-r-r Pa-pa-pagei ist tot?«
»Ja, Mensch. Du klingst wie ein Roboter, der
irgendwo in Mombasa sitzt«, sage ich. »Wieso bist du überhaupt noch wach? Es ist
fast Mitternacht, und du hast doch morgen ein wichtiges Meeting?«
Auf dem Computerbildschirm wirkt Lucia müde. Sie
hat leichte Ränder unter den Augen, und auf dem Kopf ein zu einem Turban
gewickeltes Handtuch. Offensichtlich kommt sie gerade aus der Dusche. Im
Hintergrund erkenne ich eine türkisfarbene Wand, auf der saftlose
Herbstlandschaften in Aquarell hängen.
»Wie-e-e-e konnte-e da-a-a-s
passi-ie-re-n-n?«
»Keine Ahnung. Vivien ist einfach umgefallen, als
ich gerade Gitarre spielen wollte.«
»O-o-o-de-r-r wa-a-a-re-n-n’s die Kind-er?«
»Nein, die haben nichts damit zu tun.
Ausnahmsweise mal. Vielleicht ist der Broiler auch erfroren, ich weiß es nicht.
Für eine Weile würde ich ganz gerne keine Tiere mehr aufnehmen.«
»O-o-k-a-y.«
»Und, wie ist Zürich? Muss toll sein, in einer
Stadt, wo es Heizungen gibt.«
»Ha-a-a-be-e bi-s-he-r ni-chts vo-o-on der Stadt
gese-he-n. U-u-n-d-d bei euch i-i-st es ka-alt?«
»Nee, nur drinnen. Draußen sind noch gut siebzehn
Grad, im Wohnzimmer mittlerweile nur dreizehn. Das soll mir mal einer erklären,
wie die hier die Häuser gebaut haben. Ich habe das bisher so begriffen: Wenn man
sich aufwärmen will, dann muss man das Fenster aufmachen.«
»Ha-ha-a-ha-a«, tönt es cyborghaft aus den
Computerlautsprechern. »Denk da-ran, dass mo-o-rgen der Gas-ma-ann kommt.«
»Aye, aye. Und nun genug gestottert, buenas noches, amor .«
»Schlaaf gu-ut.«
Vierzehn
Am nächsten Morgen stehe ich mit den Kindern pünktlich an der Haustür. Tatsächlich kommt ein kleiner Laster die enge Straße hochgewackelt, die Ladefläche voller orangefarbener Gasflaschen. Fast bei jedem Haus hält er an. Der große Mann in der blauen Latzhose steigt aus und nimmt zwei volle Behälter von der Ladefläche, als wären sie aus Styropor. Dann stellt er sie auf die Straße und rollt sie parallel mit beiden Händen, indem er die Flaschenböden an einer Seite leicht anhebt, zu den Hauseingängen. Bei der Rollbewegung entsteht ein glockiger, steeldrumartiger Klang, der sich mir bald einbrennen soll wie die Glocke bei den Pawlow’schen Hunden.
In den Türrahmen stehen überall alte Frauen und warten, zusammengerollte Scheine in der Hand. Sie strahlen, als ob es sich um den Höhepunkt des Tages handelte.
Hinter dem Laster ist ein langer Stau entstanden, da man selbst mit dem Fahrrad kaum daran vorbeikommt.
Alles Mallorquiner, die zur Arbeit wollen, denke ich. Einige nutzen die Zwangspause, lassen entspannt das Fenster herunter und halten ein Schwätzchen mit den Frauen. Andere hupen und hängen sich mit dem Oberkörper aus der Autotür, um zu sehen, wann es weitergeht.
Endlich hält der Wagen bei uns. Hinter der Frontscheibe klemmt ein Schild mit dem Namen Toni.
»Dos!« , rufe ich in das offene Beifahrerfenster hinein.
Toni steigt aus und kommt auf uns zu. Er ist ein sehr untypischer Mallorquiner: stoisch, blass, Bart, Brille, Heavy-Metal-Frisur, über einen Meter neunzig groß, breite Schultern. Ich hätte bei ihm weniger auf einen mallorquinischen Gasmann als auf einen irischen Friedhofsgärtner und Live-Rollenspieler getippt.
»Und die leeren Flaschen?«, fragt Toni.
»Ich … wir haben keine leeren Gasflaschen.«
»Pues no te puedo dar« , sagt der Gasmann. Das bedeutet, dass er mir keine geben kann. Oder will.
»Du musst erst nach Inca und melden, dass du Flaschen brauchst«, erklärt er mir.
Das ist bestimmt schon wieder so ein Neu-zugezogener-Ausländerquatsch, denke ich. Wenn wir schon mal zusammen Skat in der Dorfkneipe gekloppt hätten, würdest du jetzt keine
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