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Papa ante Palma

Papa ante Palma

Titel: Papa ante Palma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Keller
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zum Hort machen wir einen Schlenker über die Plaza, da ich mir schnell noch eine Zeitung kaufen will. Das Dorf hat sich verändert. Der ansonsten stets belebte Platz wirkt verwaist. Die Alustühle sind weg, und auch die Touristen sind wie vom Erdboden verschluckt. Ein paar gelbe Blätter der Platzplatanen wehen im Regen über das Kopfsteinpflaster, bevor sie wasserdurchtränkt liegen bleiben. Selbst das weiß getünchte Immobilienbüro hat geschlossen. Natürlich posieren die völlig überteuerten Objekte immer noch auf ihren Steckbriefen in der Auslage. Alle schön bei Sonne fotografiert. Alle mit Pool. Alle mit Panoramasicht. Alle ohne direkte Nachbarn. Alles auf Deutsch. Finca mit Charme … charmantes Landhaus … stilvolle Landfinca … Landhaus mit Charme … Luxus-Finca im charmanten Landhausstil … Ob die in den Hütten auch so charmant frieren wie wir in unserem charmanten Dorfhaus?
    Selbst die blauen Todeszettel an der Tür des Gemischtwarenladens sind viel seltener geworden. Die fallenden Temperaturen kommen den Alten vermutlich zupass.
    Auch im Hort hat sich etwas getan. Ich entdecke einen zweiten Dorfpolizisten, der den Verkehr in der engen Straße regelt. Es sind noch mehr Autos als sonst, denn bei Regen kommt keiner mehr zu Fuß. Der Polizist ist bewaffnet bis an die Zähne, und sein Waffengürtel ist so vollbehangen wie ein Weihnachtsbaum in einer amerikanischen Shopping-Mall. Schlagstock, Taschenlampe, Messer, Funkgerät, Handy, Pistole, Magazin, Handschellen – alles da. Seine Arme stehen schussbereit vom Körper ab, als hätte er Rasierklingen unter den Achseln. Auf der Nase trägt er eine verspiegelte Sonnenbrille. Bei Regen. Eine von denen, die sonst nur Polizisten im glühenden Mississippi zustehen, wenn sie die angeketteten Schwerverbrecher beim Grabenausheben bewachen.
    Dennoch ist also das komplette Polizeiaufgebot Alarós damit beschäftigt, die Muttis und Papas durch die enge Straße zu schleusen und allzu lange Kinder-Entlade-Zeiten zu verhindern. Entweder ist das ein Zeichen einer sehr heilen Welt oder einer sehr kaputten.
    Auf einmal komme ich mir wahnsinnig deutsch vor. Ich bin der Einzige, der mit den Kindern noch zu Fuß geht, wenn auch fluchend.
    »Es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur die falsche Kleidung«, hat mal eine blinde Frau zu mir gesagt, mit der ich als Zivildienstleistender regelmäßig Wanderungen unternehmen sollte. Wieso fällt mir das ausgerechnet jetzt ein, obwohl ich diesen Spruch immer ziemlich idiotisch fand? Vielleicht weil mir der Trotz gefällt, der darin liegt. Vielleicht weil es urdeutsch ist, im Regen herumzulaufen. Geht ja in Deutschland auch nicht anders. Regnet ja ständig.
    Am Horteingang warten die Eltern und mallorquinischen Omas unter bunten Schirmen auf den Einlass. Normalerweise schließt Carmen auf, doch zu unser aller Überraschung kommt heute Morgen Jaume aus der Tür. Richtig, Jaume, der Bergsteiger und Fernsehmoderator. Ungeachtet des strömenden Regens, tritt er in seinem körperbetonten weißen Laufshirt und der kurzen Hose, einem engen Verwandten meines Kneifers, mit der angemessenen Ruhe und Gelassenheit eines Gewinners in das Unwetter hinaus. Ein paar der Frauen fangen an zu fiepen und tippen sich gegenseitig schnell an, als wären sie defekte Fahrkartenautomaten. Wie Moses den Ozean einst teilte, so teilt Jaume nun das Schirmmeer, und eine Gasse entsteht.
    »Jaume, Jaume«, jauchzt eine Mallorquinerin schmelzend.
    Der Moderator ist nach wenigen Metern bereits nass bis auf die Knochen. Ein Umstand, der ihm zuspielt, schmiegt sich doch nun der Polyesterstoff wie eine milchige Folie an seine definierten Brust- und Bauchmuskeln. Damit besteht kein Grund, den Schritt zu beschleunigen. Im Gegenteil. Jaume bleibt kurz stehen, winkt gönnerhaft in die Menge und gibt jedem der Anwesenden ausreichend Zeit, seinen chitinharten Body zu bestaunen. Unterdessen tropft der Regen von seinem perfekt gestutzten Dreitagekinnbart. Fehlt nur, dass er den Kopf in den Nacken legt und die Arme ausbreitet. In meinem Kopf höre ich dazu einen Song von Vangelis oder einen Queen-Pathos-Knaller à la »The show must go on«.
    Jedenfalls wird mir unter Lunas rosa Kinderschirm übel. Was macht der Typ hier? Soviel ich weiß, hat er keine Kinder. Wahrscheinlich hat er eine Zwangsneurose und muss sich mindestens einmal täglich von Müttern im Stand-by-Sex-Modus feiern lassen.
    Eine Frau hält Jaume unter ihrem Schirm ein halb aufgeweichtes Papier hin.

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