Papa ante Palma
»Ein Autogramm, bitte.«
Verlegen hebt er die Schultern und lächelt über das nass glänzende Gesicht, wobei die Grübchen und Lachfalten noch stärker hervortreten. Überflüssig, zu erwähnen, dass sich die Schultermuskeln bei dieser sympathischen Geste auffalten wie das Relief eines Mittelgebirges. Ja, klar, jetzt auch noch die verklemmte Ich-konnte-ja-nicht-wissen-dass-ich-ein-Autorgramm-geben-muss-und-habe-deshalb-natürlich-keinen-Stift-dabei-bescheiden-wie-ich-nun-mal-bin-Nummer.
O Mann, der Typ macht mich fertig. Selbst die Kinder stehen wie paralysiert zwischen den Müttern und schauen ungläubig zu ihm hoch, als wäre er eine zwei Meter große Waffel. Es gibt solche Männer, die einfach alle um den Finger wickeln können, egal ob Kinder, Mütter oder Omas. Immer ein nettes Kompliment für die Großen auf den Lippen oder den Ballon für die Kleinen zur Hand. Jaume ist genau so einer.
Als er cäsarenhaft an mir vorbeischreitet, lässt er den Blick abfällig über mein Regencape wandern. Auf Höhe meiner Oberschenkel angekommen, entdeckt er schließlich Sophie und Luna. Er grinst die beiden an, offensichtlich hat er sie wiedererkannt. Dann streichelt er ihnen vor der versammelten Jungelternschaft von Alaró über die Wangen.
» Que bonito , wie süß!«, ruft eine der Mütter.
Das sprengt ja wohl alles! Jetzt inszeniert der Kerl sich auch noch als künftiger, kinderlieber Superpapa, noch dazu mit meinen Zwillingen, die ich mit Blut, Schweiß und Tränen aufgezogen habe.
Ich würde gerne irgendwas auf Spanisch fluchen, aber immer wenn mein limbisches System rotsieht, setzt auch mein internes Wörterbuch total aus. »Kommt, Mäuse, wir müssen jetzt reingehen«, ist alles, was ich zustande bringe.
Ich schiebe die Kinder von Jaume weg in Richtung Eingangstür, während die anderen Mütter wie angewurzelt verharren und sabbern.
Im Hort ist es empfindlich kühl. Alba empfängt uns etwas besorgt an der Klassentür. »Der Strom ist ausgefallen«, sagt sie leicht verzweifelt. Das erklärt natürlich einiges, denn viele der Heizungen hier funktionieren elektrisch. Überall gibt es stromfressende Radiatoren oder Heißluft-Klimaanlagen. Auch hier im Hort. Alba lächelt. »So ist das eben in Alaró. Wir sagen immer scherzhaft, es war 1901 das erste Dorf auf der Insel mit Elektrizität und ist deshalb auch immer das erste Dorf ohne Strom … sobald es regnet. Normalerweise dauert es nie länger als dreißig Minuten, danach sollte es wieder gehen.«
»Gut«, sage ich und frage mich gleichzeitig, ob dreißig Minuten reichen, damit unser Kühlschrank abtaut, und ich die Sauerei aufwischen muss.
Im Gang kommen mir die begeisterten Jaume-Fans entgegen. Er hat die Versammlung anscheinend aufgelöst. Ich höre, wie eine der Mütter zu den anderen sagt: »Die kleinen Mädchen haben ihm wirklich gut gestanden.«
Ungeheuerlich. »Gut gestanden«. Ich glaube, es hackt! Wie wäre es, wenn ich die Kids an den verehrten Herrn Eisenmann Jaume verleihe? Vornehmlich nachts oder wenn Sophie mal wieder mit vollgeschissener Hose zwischen drei zerplatzten Gurkengläsern im Supermarkt liegt und »Kekse!« brüllt. Mal sehen, wie es dann mit dem Fitnesstraining und Bergehochrennen aussieht.
Draußen regnet es immer noch in Strömen. Es ist jedes Mal das Gleiche. Die Insel scheint irgendwie nicht dafür präpariert zu sein, das war schon in Palma so. Binnen Minuten stauen sich Rinnsale angeberisch zu reißenden Bächen auf und donnern gurgelnd die Straßen entlang. Hauptsächlich deshalb, weil es hier an Abflüssen und durstigen Grünflächen mangelt. Auch die funkelnden Ocker- und Brauntöne der Sandsteinfassaden wirken mit einem Mal nur noch grau. Die persianas werden wie Segel bei Sturm eingeholt, Bretter zum Schutz gegen die Wasserläufe vor die Türen gestellt.
Selbst das ach so viel gelobte Straßenleben der Spanier kommt gänzlich zum Erliegen. Denn so lustig, dass der Spanier bei einer cerveza nass werden möchte, ist er dann noch nicht. Es scheint, bei Regen kehre sich alles, was eben noch großartig und spektakulär war, in eine Karikatur desgleichen um. Es wird geradezu grauenhaft und unspektakulär. Ein Hauch von Wattenscheid mitten im Mittelmeer.
Die Leute hier behaupten, noch vor ein paar Jahren habe es im Herbst und Winter nicht so viel geregnet. Großes Ehrenwort. Das Klima habe sich eben verändert. Die Stauseen liefen über, während es früher im Sommer schon mal knapp mit der Wasserversorgung werden konnte.
Weitere Kostenlose Bücher