Papa ante Palma
wieder.
»Gemüse«, ergänzen die Kinder unisono.
Ȁh, gut. Also, fragt Vivien doch mal nach etwas.
Mit ein bisschen Glück wiederholt er es dann.«
Während die Kinder die Namen ihrer
mallorquinischen Kindergärtnerinnen, der Dorfheiligen und so schöne Wörter wie
Kaka und Pups in den Käfig hineinrufen, schnappe ich mir eine herumstehende
Westerngitarre. Ich will schnell einen Fingerstyle-Blues spielen und entscheide
mich für »Old Mountain Rag«, einen netten Schunkelblues, zum Warmwerden. Erster
Akkord, ein sattes G-Dur. Riiinnnng.
Dann ein Schrei.
Mein erster Gedanke: Der Papagei hat die Kinder
gebissen. Verfluchter Gockel, die Engländer sollen ihn sofort wieder abholen.
Doch als ich aufblicke, sehen die Mädchen mich etwas bedrückt und gleichwohl
erschrocken an. Keine blutenden Finger oder Nasen. Nichts dergleichen.
Es ist Vivien selbst. Er hat den Kopf nach vorne
gereckt, flattert wie von Sinnen mit den gespreizten Flügeln und stößt
grauenhafte spitze Schreie aus. Der Papagei ist völlig außer sich. Selbst die
Augen treten ihm aus dem Kopf.
»So beruhige dich doch«, rufe ich und stelle die
Gitarre weg. »Ich konnte doch nicht ahnen, dass du keinen Blues magst.«
Plumps.
»Vivien? Vieviiien!«
Der Papagei liegt rücklings auf dem Käfigboden.
Mein erster Impuls ist, sofort in den Käfig zu greifen, doch dann zögere ich.
Wer weiß, vielleicht wäre das der endgültige Todesschock, oder aber Vivien würde
mir im Reflex mit seinem Hornschnabel eine klaffende Wunde in den Handteller
schlagen. Außerdem sind Papageien angeblich außerordentlich intelligent.
Vielleicht stellt er sich nur tot, damit ich die Käfigtür öffne, und dann
entflieht er in das nahegelegene Vögelparadies nach Santa Eugenia. Andererseits
würden die Engländer mich vermutlich wegen unterlassener Hilfeleistung verklagen
und mich im Dorf als verantwortungslosen Tierhasser bezichtigen. Damit hätten
sie zwar prinzipiell recht, aber nicht in diesem Fall. Verdammt! Okay, ich
mach’s.
Vorsichtig öffne ich die Käfigtür und schiebe die
Hand behutsam unter das Tier. Die Kinder verfolgen jede meiner Bewegungen
aufmerksam und neugierig. Als ich dabei eine von Viviens Krallen berühre,
schließt sie sich ein wenig. Eigenartig. Ich hatte mir das Federvieh irgendwie
schwerer vorgestellt. Um den Papagei aus dem Käfig zu befördern, muss ich einen
seiner Flügel wie einen Zollstock zusammenklappen, damit er nicht an der
Käfigtür hängenbleibt. Vorsichtig lege ich den Vogel aufs Parkett.
Geschafft.
»Papa, was macht Vivien da?«, wundert sich
Luna.
»Na, der hält ein Nickerchen.« Die
Standardantwort bei toten oder schwerverletzten Tieren.
»Papa versucht mal, ihn aufzuwecken. – Vivien!
Vivieen, du wirst mir doch nicht sterben. Nicht jetzt. Nicht hier.«
Als hätte der Vogel mich verstanden, hebt er kurz
den Kopf und gibt leise Laut. »Ass …, Asss …« Dann lässt der
Flattermann den Kopf fallen. Es wird Nacht um Vivien.
»Nicht sterben«, flehe ich und reibe mir
verzweifelt über die Backen. Ich bin nicht gut in so was.
Alles, was mir einfällt, ist der
Erste-Hilfe-Kurs, den ich damals für den Führerschein belegen musste. Vor
siebzehn Jahren. »Stabile Seitenlage«, sinniere ich laut und verwerfe den
Gedanken gleich wieder. »Unsinn! Herz-Rhythmus-Massage. Das könnte gehen.«
Das hieße aber auch, den Vogel an der pockigen,
federfreien Zone zu berühren. Puh. Das darf mir Lucia mit Zins und Zinseszins
zurückzahlen.
»Ich nehme mal an, dein Herz sitzt auch links
oben.« Ich drücke vorsichtig mit der Daumenspitze auf Viviens linke Brusthälfte.
Einmal, zweimal, dreimal. Pause. Wie war das noch? Ich kann mich nicht an die
Intervalle erinnern. Egal, weiterdrücken.
Es ist zwecklos, der Papagei reagiert nicht.
»Ich rufe mal schnell bei Charly an, die müsste
gerade auf dem Weg zum Flughafen sein.«
Aus der Hosentasche krame ich die Visitenkarte
heraus und wähle die angegebene Nummer.
»Yes?« , erklingt eine
sonore Stimme am anderen Ende der Leitung.
»Äh, Howard?«
»Yes?«
»Sitzt du? Howard, du musst jetzt stark sein.«
Meine Stimme klingt wie die eines Grabredners auf einem amerikanischen
Militärfriedhof.
»Was ist passiert?«
»Vivien ist nicht wohl.«
»Nicht wohl? Was soll das bedeuten?«,
»Sie, äh, er ist vermutlich tot.«
» What? Bleib, wo du
bist. We will be right there .«
Ich lege das Telefon zurück auf die Station.
»So, Howard und Charly kommen gleich vorbei und
holen Vivien
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