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Papa

Papa

Titel: Papa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven I. Hüsken
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Mädchen sterben nun mal. Sie wollte stark sein. Stärker als er, und doch begann sie zu weinen. »Papa«, murmelte sie, kaum die Kraft, ihre bebenden Lippen zu öffnen, und stach zu. Ihr war egal, was sie traf, Hauptsache, es tat ihm weh.
    Doch er zuckte nur und begann, das Leben aus ihr herauszupressen.
    Tommi konnte nicht sagen, wo sie ihn getroffen hatte, doch es schmerzte, als hätte sie ihm einen glühenden Pfahl in den Körper gerammt. Dieses Miststück. Der Schmerz strahlte bis in die Bauchhöhle.
    Sie zappelte und strampelte und wand sich in seinem Griff. Es wurde Zeit, dass sie starb. Ihr Hals war so dünn, es würde ihm keine Probleme bereiten, ihn zu brechen.
    Die ausbreitende Wärme verriet ihm, dass sich unter ihm Blut ausbreitete. Er musste zudrücken, dann würde sie das Messer fallen lassen. »Schließ auf. Schließ diese gottverdammten Handschellen auf.« Die Kraft verließ ihn. Er konnte sie kaum noch anheben. Das Blut. Er verlor zu viel Blut. Alles um ihn herum verschwamm.
    Lillian trat um sich. Sie krallte sich am Messergriff fest, als hinge ihr Leben davon ab. Der Wagen schwankte. Sie wollte schreien, doch nichts drang durch ihre Kehle. Sie musste ihn dazu bringen, loszulassen. Augenblicklich.
    Die Handbremse! Das war ihre letzte Chance. Sie streckte eine Hand aus. Tommi musste sich auf den Wagen konzentrieren. Sie reckte ihre Finger. Die Sternchen um sie herum vermehrten sich, tanzten immer wilder. Ihr Sichtfeld schrumpfte. Sie sah nur noch den Hebel neben ihm und bekam ihn schließlich zu fassen. Sie drückte den Knopf und löste die Bremse.
    Die Welt um sie herum begann zu beben und zu poltern. Lillian zog das Messer aus der Wunde. Augenblicklich wurde ihr Unterarm feucht.
    Der Wagen fuhr immer schneller den Hang hinunter auf den Abhang zu, der steil zum See abfiel. Tommi ließ sie nicht los, aber wenigstens hatte sie ihn besiegt.
    »Mach diese bekackten Handschellen auf«, kreischte er und schüttelte die Kleine durch, so gut er konnte. Der Wagen hüpfte auf dem steinigen Untergrund. Tommi und Lillian schrien, schlugen um sich.
    Hinter ihnen heulte ein Motor auf, und Scheinwerferlicht flutete den Innenraum des Fords.
    Tommi fehlte die Kraft, um Lillian das Genick zu brechen. Ihm fehlte sogar die Kraft, zu atmen. Doch er würde sie nicht gehen lassen. Wenn er starb, würde er sie mitnehmen.
    Er zog Lillian an sich. Drückte sie.
    Der Wagen hüpfte, als er über etwas Großes fuhr. Ein Stein vielleicht. Regentropfen prasselten auf Tommis Gesicht. Er lachte. Es regnete im Auto. Der Himmel regnete Blut. »Nein«, sagte ihm sein sterbender Verstand, »nicht der Himmel regnet Blut. Du tust es.«
    Lillian gurgelte. Ihr Gesicht war direkt über seinem. Sie streckte ihm die Zunge raus. So ein Biest. Sie starb und streckte ihm die Zunge raus. Das war absurd. Speichel tropfte aus ihrem Mund. Wusste sie denn nicht, wie sich kleine Mädchen zu benehmen hatten? Tommi lachte, wie schon lange nicht mehr. So viel Luft hatte er noch.
    Dann war einen Moment lang alles still. Sie flogen. Tommi lachte weiter. Sie flogen. Hinein ins Paradies. Wie verrückt das Leben war.
    Das Licht des fremden Autos blieb hinter ihnen zurück, als säßen sie in einem Raumschiff, das sich auf dem Weg ins All von der Sonne entfernte.
    Der rostige Ford krachte auf die Wasseroberfläche und begann genauso zu glucksen wie Lillian.
    Fast wäre sie Tommi aus den Händen gerutscht, so hart war der Aufprall. Aber Gott hatte heute wohl seinen guten Tag. Er entspannte seine Hand ein wenig. Sofort schnappte sie nach Luft wie ein Karpfen in einem toten Teich.
    Der Wagen füllte sich schnell mit Wasser, machte eine Rolle und versank.
    »Die Seen in dieser Gegend«, hatte sein Vater früher immer gesagt, »sind so tief wie Schlangenärsche.« Er hatte recht gehabt. Zumindest mit diesem hier.
    Tommi spürte keine Schmerzen mehr. Sein Blut umspülte Lillians Haare, die wie in Zeitlupe loderten.
    Wer am längsten die Luft anhalten kann, gewinnt.
    Ihre Haut war so fahl. Ihr Mund zu einem stummen Schrei geöffnet.
    Der erste Schwall Wasser füllte ihren Mund. Die Luft, für die sie so hart gekämpft hatte, entwich in kleinen Bläschen, die herumwirbelten und sich nach oben kämpften.
    Sie wollen fangen spielen
, dachte Tommi,
doch Lillian wird euch nicht folgen, denn sie ist gerade beschäftigt.
    Wasser drang in seine Lungen, und ihre Augen verrieten ihm, dass es ihr genauso erging.
    Die letzten Zuckungen ihres Körpers waren verzweifelt. Ihr

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