Papa
den Eichenschrank auf, doch der Platz reichte nicht aus, um sich darin zu verstecken.
Michelle schlich in die Küche, die so steril wirkte, als wäre sie noch nie benutzt worden. Eine Waffe, sie brauchte eine Waffe!
Eine schwere gusseiserne Pfanne erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie nahm sie von der Wandhalterung und wog sie in der Hand. Viel zu schwer. Damit wäre nur ein grober Schlag möglich, aber kein Kampf.
Im Flur knarzten die Dielen.
Michelle hängte die Pfanne zurück. Sie brauchte ein Messer. Schnell.
Doch sie bekam keine Gelegenheit mehr, danach zu suchen. Ein Schrei ging durch die Küche, und Rain kam auf sie zu wie ein überdrehtes Spielzeug.
Michelle riss die Pfanne samt Halterung von der Wand und schlug zu.
Manche Geräusche hatten die unangenehme Eigenschaft, wie zähes Öl am Trommelfell kleben zu bleiben. Die Pfanne traf klanglos und mit voller Wucht das Gesicht der Chinesin. Gleichzeitig knackte und knirschte es, als die Nase und auch die Zähne der Frau brachen. Dazu kam das matschende Geräusch von Blut, das aus den Wunden schoss und gegen die weißen Wände spritzte. Den Abschluss bildete das dumpfe Aufklatschen auf die Fliesen, als die Frau ungebremst zu Boden ging.
Michelle ließ erschrocken die Pfanne fallen. Mit dieser Wucht hatte sie nicht gerechnet.
Unter ihr bildete sich eine Blutlache. Rains ehemals hübsches Gesicht war nicht mehr zu erkennen. Es war blutüberströmt und leicht schief, als wäre ein Erdbeben hindurchgegangen.
Ein Kribbeln breitete sich in Michelle aus. Das war ihre Chance, die Situation doch noch zu retten. Sie schnappte sich die Chinesin und zerrte sie zur Tür. Michelle schickte ein Stoßgebet in den Himmel und trat hinaus in den Regen.
Gott, fühlte sich das gut an. Das Wasser kühlte ihre fiebrige Haut, und die Luft füllte ihre Lungen mit Sauerstoff. Wenn man der Hölle entkommen war, konnten Regen und Kälte himmlisch sein.
Weiter! Sie musste weiter. Ihr Wagen stand vor dem Restaurant. Ohne zu zögern, lief sie zu ihm, stieg ein und fuhr damit vor die Haustür.
Vorsichtig betrat sie wieder die Wohnung. Im Wohnzimmer polterte es. Holz brach, und die Rufe der Männer drangen laut an ihr Ohr.
Michelle sammelte alle Kräfte und zerrte die Chinesin zum Auto. Sie öffnete den Kofferraum, hievte den Körper hinein und fuhr los.
Die Lieferadresse hatte Tom ihr mit in den Briefumschlag gelegt. Dorthin fuhr sie jetzt.
Am Ziel angekommen, stieg sie aus. Sie ging zu einer Laterne, kramte aus der Handtasche ihr Handy hervor und schickte Tom eine SMS.
Das Paket wurde geliefert.
Sie legte Rain am Bordstein ab und fuhr um die Ecke. Dort wartete sie. Wenn Tom bemerkte, dass er Rain und nicht Ya-Long bekommen hatte, würde er sofort umdrehen und Lilly töten. Das durfte nicht passieren.
Michelle wartete, mit dem entladenen Taser in der Hand, in der Hoffnung, dass Tom sich dadurch bedrohen ließ.
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Kapitel 26
L illian schob die Gardine ein Stück zur Seite und versuchte, in den Fenstern des gegenüberliegenden Hauses etwas zu erkennen.
»Was siehst du?«, fragte Tommi und hielt sich dicht neben ihr.
Das Haus war zu weit weg, um Details zu erkennen. Außerdem versperrten Büsche die Sicht auf das Grundstück. Sie schüttelte den Kopf. »Gar nichts.«
Ihr Stiefvater seufzte enttäuscht. »Ich bin mir sicher, dass die alte Lammert Besuch hat.«
Lillian verstand nicht, warum ihn das so aufregte; das war aber nicht verwunderlich, denn das Nachdenken fiel ihr noch immer schwer. »Darf sie keinen Besuch bekommen?«
»Bisher hatte sie ganz einfach noch keinen. Sie lässt niemanden in ihr Haus, seit ihr Mann verstorben ist. Ich habe das ungute Gefühl, beobachtet zu werden.«
Lillian zuckte mit den Achseln. »Na und?«
Tommi schaute noch einmal durch das Fenster und wechselte dann das Thema. »Was essen?«
»Nein, bin müde. Ich leg mich etwas ins Bett. Bis Mama da ist. Und wehe, du kommst in mein Zimmer.«
Plötzlich zuckte Tommi zusammen und riss die Gardine herunter. »Verdammt, da sitzt jemand und beobachtet uns.«
Lillian sah eine Bewegung am Fenster gegenüber. Das Haus dort war annähernd hundert Meter entfernt. Zu weit weg, um wirklich etwas zu erkennen. Die Bewegung hätte auch von einer Katze kommen können oder vom Wind.
Tommi lief durch die Küche, riss Schubladen auf und wühlte darin herum. »Wo sind die beschissenen Messer, verdammt?« Ein Besteckkasten fiel scheppernd zu Boden. Lillian sprang zur Seite und wich zurück. »Was hast du vor?«,
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