Papa
fragte sie vorsichtig, und ein Zittern ging durch ihren Körper.
»Das geht dich nichts an. Geh auf dein Zimmer. Ah, da ist es ja.« Er zog ein Fleischermesser aus der Schublade und drehte es in der Hand. Lichtreflexe blitzten durch den Raum und blendeten Lillian.
»Was hast du vor?« Sie traute sich nicht näher an ihn heran. Sie wusste, wozu er fähig war. Deshalb musste sie ihn besänftigen. Irgendwie.
»Ich sage es kein zweites Mal«, er drehte sich zu ihr und starrte sie mit zusammengepressten Lippen an. Seine Augen flimmerten.
Lillians Knie wurden weich, und das Zimmer begann sich zu drehen. Sie war noch viel zu schwach für so viel Aufregung. Sie tastete nach der Zarge und hielt sich daran fest. »Leg einfach das Messer weg, okay?«, sagte sie leise.
»Auf dein Zimmer!«, schrie er und drängte sich an ihr vorbei.
Sie sackte im Türrahmen zusammen. Tränen flossen über ihre Wangen. »Geh nicht. Bleib bei mir, okay? Ich mach, was du willst, aber geh nicht da rüber.«
Tommi war in Rage. Er schrie auf, drehte sich auf dem Absatz um und bückte sich zu ihr. Die Messerspitze hielt er dicht an ihre Kehle, so dass sie kaum wagte, zu atmen. Blut lief ihm an einem Finger herunter, wo er sich offenbar beim Durchwühlen der Schubladen geschnitten hatte. »Du kleine Schlampe machst sowieso, was ich will. Und wenn ich sage, dass du auf dein Zimmer gehen sollst, dann tust du das. Hast du mich verstanden?«
Lillian nickte schluchzend. Immer öfter wurde er ausfallend und brutal. Es war kaum zu ertragen. Sie schlug die Hände vors Gesicht. Es fühlte sich feucht an und klebrig. Erschrocken betrachtete sie ihre Handflächen. Offenbar hatte Tommi sie mit dem Messer verletzt. Etwas Blut quoll aus einer Wunde an ihrem rechten Zeigefinger. Sie ballte die Hände zur Faust.
Noch immer deutete die Messerspitze auf ihren Kehlkopf.
»Schön, ich werde die alte Frau Lammert in Ruhe lassen, aber dich will ich vorerst nicht mehr sehen. Hast du mich verstanden?« Tommis Stimme schwoll an. »Ich will dich nicht mehr sehen! Und versuch gar nicht erst, dein Zimmer zu verlassen, sonst hole ich dich, und du landest im Keller.«
Damit stand er auf, ließ sie im Küchendurchgang sitzen und ging durch das Wohnzimmer zur Terrassentür. Draußen nieselte es. Der Wald hinter seinem Grundstück erhob sich dunkel und kalt. Ein mieses Gefühl nistete sich in Tommi ein. War ihm jemand auf die Schliche gekommen? Hatte man ihn beobachtet, als er die Chinesin ins Auto geladen hatte? Das war unmöglich. Nachdem Michelle nach einer gefühlten Ewigkeit weggefahren war, hatte er die Gegend doch sehr genau im Auge behalten.
Nein, er war vorsichtig gewesen. Er war immer vorsichtig.
Eine Gefühlswelle überkam ihn, die alles überschwemmte, die seine Gedanken ertränkte und durch die er die Welt anders sah.
Es war großartig.
Er spürte das wohlige Kribbeln im Bauch, das sich über seinen Rücken ausbreitete. Er genoss die neue Art der Freiheit. Aber das Problem mit der Nachbarin bestand nach wie vor, und dem musste er sich annehmen. Doch da war noch etwas anderes.
Er ging zurück in den Flur zur Haustür, wo der Kleiderhaken war. Dort zog er sich eine Jacke über, ging in die Küche und schnappte sich die vorbereitete Plastiktüte vom Tisch. Es gab so viele Aufgaben zu bewältigen. Es war gut, dass er Michelle eine kleine Pause gönnte. Für sie hatte er jetzt wahrlich keine Zeit. Und wenn er die Waldsache erledigt hatte und das Problem mit der Nachbarin, würde er sich um Lillian kümmern, die inzwischen wahrscheinlich wieder in ihrem Zimmer war. Sie war ein gutes Mädchen, doch manchmal brauchten auch gute Mädchen einen kleinen Schubs. Ein kleiner Schubs für ein kleines Mädchen.
Nur eine Tablette, und heute würde er sie nicht mehr sehen.
Als er durch die Terrassentür nach draußen trat, wirbelte ihm der Wind Regen ins Gesicht. Es war kalt und erfrischend. Der Wald duftete intensiv nach Erde und Harz.
Es roch nach Leben und es roch nach Tod.
»Und so komme ich nur noch dieses Mal und dann nimmermehr.« Er lächelte.
Die Wiese bis zum Grundstückszaun war matschig. Erst als Tom den Wald erreicht hatte, wurde der Untergrund fester. Der Weg führte über Wurzeln und Findlinge immer tiefer ins Dunkel. Die Buchen und Fichten, die älter wurden, je weiter er ging, verliehen diesem Ort etwas Märchenhaftes.
Umgestürzte Bäume, häufig von Glimmertintlingen überwuchert, säumten den Pfad. Der Wind frischte auf und jagte fauchend durch die
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