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Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)

Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)

Titel: Paperweight: Literarische Snacks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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solchen Kragen? War unser Haar so
schmierig
eingegelt? Glaubten wir
ehrlich
, Rik Astley würde der Popmusik ein neues Gesicht verleihen? Es ist natürlich leicht, die Klasse der Neunundachtziger zu verspotten … die Frisuren, die Freude an Sushi, die Designerhosen, der naive Glaube an den freien Markt, aber das war v. F., vergessen wir das nicht. Für Aldous Huxley bedeutete v. F. vor Ford, für uns stehen diese Buchstaben für etwas ganz anderes.
    Verdrängen wir das Bild eines hoffnungsvollen, unschuldigen 1989 v. F. für ein paar Sekunden, und überblenden wir zum September dieses Jahres. Wir befinden uns im luxuriös ausgestatteten Dorchester-Hotel des Sultans von Brunei. Britanniens Schriftstellerverband gibt ein Abendessen. Lord »Ted« Willis will gerade den Gewinner in der Kategorie »Bestes Kinderbuch« vorstellen. Er hält eine bezaubernde, passende und sehr witzige Rede. Die Paparazzi lassen ihre gelangweilten Mienen von einem Lächeln kräuseln; sie haben immer noch das Gefühl, der Besuch von Mel Brooks’ Party ein paar Häuser weiter wäre lohnender gewesen, aber diese Rede hat sie wenigstens etwas munter gemacht.
    Endlich greift Lord Willis zu dem Umschlag, der den Namen des Gewinners enthält. »Ich kann mir kaum vorstellen, daß dieser Mann anwesend sein wird«, sagt er, »denn der Gewinner ist Salman Rushdie für sein Buch
Harun und das Meer der Geschichten

    Plötzlich bahnt sich eine römische Schildkrötenformation aus grauen Anzügen der Sicherheitspolizei einen Weg zum Podium. Aus dem Kammgarnrückenpanzer dieser Formation schält sich ein Mann, so blaß wie Schreibpapier. Wir schreiben das Jahr 2,7 nach Fatwah, also flattern die Paparazzi auf und ab wie die Schmetterlinge, nach denen man sie benannt hat, und unsicher erhebt sich die ganze Versammlung.
    Alle starren wir Mr Rushdie ehrfurchtsvoll und mit offenen Mündern an. Ehrfurcht gebietet uns weniger sein Mut oder auch nur der Anblick eines asiatischen Teints, der durch den Entzug des Sonnenlichts kalkweiß geworden ist. Wenn wir ehrlich sind, starren wir eher wie Leute, die an den Überresten eines Verkehrsunfalls vorbeifahren oder die Photos von Aidskranken in der Zeitung begaffen.
    So wie Mr Rushdies Haut vom jahrelangen Leben im Schatten ausgebleicht ist, so ist seinem Fall auch (wenn Sie mir noch einmal den Griff zum Analogizer TM gestatten) das ultraviolette Licht öffentlicher Aufmerksamkeit entzogen worden. Er ist rachitisch vor Vernachlässigung.
    Ob Sie sein Buch gelesen haben oder nicht, ob es ein formvollendetes Kunstwerk der Phantasie ist oder großkotziger, opportunistischer Quatsch, ob er rechts oder links steht; egal, ob die Politik unserer Regierung eine »Normalisierung« der Beziehungen zum Iran anstrebt; egal, welche Ansichten wir zu Fiktion, Religion, Politik oder Rasse hegen, die schlichte Wahrheit ist und bleibt, daß Mr Rushdie eine Geisel im eigenen Land ist. Seine Zelle ist genauso wirklich und entsetzlich wie die, die Jackie Mann und Terry Waite gefangenhält: vielleicht noch wirklicher und entsetzlicher, weil sie dauerhafter zu sein scheint und nicht durch Verhandlungen geöffnet werden kann. Nach den Gesetzen und Gebräuchen, die uns auf unser Landstolz sein lassen, hat er so wenig ein Verbrechen begangen wie der unbescholtenste Bürger unter uns.
    Dennoch wurde sein japanischer Übersetzer in diesem Jahr ermordet und sein italienischer Übersetzer von Angreifern totgeschlagen, die Rushdies Adresse aus ihm herausprügeln wollten. Der Tag wird kommen, an dem die Leute anfangen werden, ihm die Kosten der zu seinem Schutz abgestellten Polizisten übelzunehmen, der Tag, an dem die Rushdie-Affaire in keiner Zeitung auch nur einen Zweizeiler unter der Rubrik »Kurznachrichten« mehr wert sein wird, der Tag, an dem wir die schreckliche Schlichtheit seines Falles vergessen haben werden.
    Vielleicht ist es politisch wenig opportun, sich international für den Fall Rushdie stark zu machen, solange die Geiseln im Libanon noch nicht frei sind. Danach dürfen wir die Welt vielleicht daran erinnern, welche Schandtat die Mullahs begangen und welches Unverständnis sie
unserer
Religion gegenüber gezeigt haben, einer Religion der Toleranz und freien Meinungsäußerung.
    Heute ist kein besonderer Jahrestag der Fatwah, sondern bloß ein neuer Tag der Gefangenschaft und Furcht für Mr Rushdie und für uns daher so geeignet wie jeder andere Tag, um uns daran zu erinnern.
    Wenn es AnalogizerTM gäbe, würde er dem Mann

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